Siegfried S. Hecker: Gefahrenherd Nummer eins bleibt Pakistan.“

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Protestaktion gegen Nordkoreas Diktator Kim Jong Il in Südkoreas Hauptstadt Seoul: „Ich denke, sie hatten die Bombe.“

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Siegfried S. Hecker, führender US-Experte für internationale Atomsicherheit, fürchtet trotz des jüngsten Abkommens mit Pjöngjang den Export von Nuklearmaterial aus Nordkorea in den Iran. Mit Hecker sprach während dessen jüngsten Moskau-Besuchs Eduard Steiner.

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STANDARD: Sie haben vor Kurzem geschrieben, dass trotz der Unterzeichnung der Sechsparteien-Vereinbarung zum Stopp des nordkoreanischen Atomwaffenprogrammes am 13. Februar der Weg „lang und steil und der Erfolg längst nicht garantiert“ sei.

Hecker: Meine Einschätzung kommt von zwei Meetings mit den Nordkoreanern. Sie sind bereit, die Anlagen zu schließen und den wichtigen Forderungen zuzustimmen, auf weitere Bomben und den Export von Nuklearmaterial oder -technologie zu verzichten. Der zweite Punkt aber, das Nuklearmaterial und die Bomben, die sie haben, zu beseitigen, wird ihren Angaben zufolge lange dauern; denn die Amerikaner hätten zu demonstrieren, dass sich das Verhältnis zu Nordkorea geändert hat. Man würde das ja nicht erwarten, aber genau dieses gute Verhältnis wollen sie.

STANDARD: Die Amerikaner haben soeben die Finanzsanktionen aufgehoben.

Hecker: Ich bin überzeugt, dass Nordkorea seine Zusagen einhält, wenn die Amerikaner ihre Schritte machen. Nordkorea will nämlich seine Probleme mit der Ökonomie und dem Industriesektor beheben. Dass Nordkorea überhaupt eingelenkt hat, liegt meines Erachtens im Stolz, den sie aus dem Atombombenversuch bezogen. Außerdem sehen sie, dass der Hauptschwenk auf US-Seite stattgefunden hat. Schon 2004 beklagte man sich bei mir über die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Amerikaner. Nach dem Bombentest im vorigen Herbst wurde die Geschwindigkeit des Atomprogramms gedrosselt.

STANDARD: Aber wohl nicht nur aus befriedigtem Stolz?

Hecker: Die Probleme waren prinzipiell technische: mit Materialien, etwa Stahl, dem Import und der Brennstoffherstellung. Die ganze industrielle Infrastruktur war in den 1990er-Jahren zusammengebrochen. Meine Gespräche mit den Nordkoreanern drei Wochen nach dem Atomtest deuteten auf eine Drosselung des Programms. Ein Spezialist sagte mir, man habe Probleme bei der Inbetriebnahme des 50-Megawatt-Reaktors, der schon 1994 fast fertiggestellt war.

STANDARD: Sie haben dreimal Nordkorea besucht und die Atomanlage in Yongbyon besichtigt. Welche Veränderungen waren wahrzunehmen?

Hecker: Im Jänner 2004 wollte man mich glauben machen, dass sie die Bombe haben. Ich sah das Plutonium und war beeindruckt von den Anlagen und Technikern. Sie hatten alles, um Plutonium herzustellen. Ich denke, sie hatten auch die Bombe, zumindest eine einfache in der Art der Nagasaki-Bombe.

Im August 2005 demonstrierte man mir, dass man das Waffenprogramm in Hochgeschwindigkeit entwickelt. Der jetzige nordkoreanische Fünf-Megawatt-Reaktor eignet sich ja nicht sehr für Stromgewinnung, aber sehr gut für bombenfähiges Plutonium. Man produziert etwa das Plutonium für eine Bombe im Jahr. Der Bombentest war nicht sehr erfolgreich, aber er demonstrierte, dass man das Land ernst nehmen muss.

STANDARD: Wie viele Bomben hat Nordkorea noch?

Hecker: Wir können mit einiger Sicherheit sagen, wie viel waffenfähiges Plutonium sie haben. Ich schätze 40 bis 50 Kilo. Das reicht für sechs bis acht Bomben. Einige davon werden sie auch haben. Beim Rest werden sie danach trachten, einen moderneren Bombenbau hinzukriegen. Solange wir verhandeln, wird es keinen zweiten Test geben.

Und so kann man auch die Qualität der Bomben nicht verbessern. Das entspricht der Vereinbarung vom 13. Februar. Gleich wie der Verzicht auf weiteres Plutonium und der Export von Nuklearmaterial und -technologie. Ein möglicher Export in den Iran ist das, was ich am meisten fürchte. Soweit wir wissen, ist dies noch nicht passiert.

STANDARD: Wie lässt er sich künftig abwenden, denn bei Raketen haben sie ja schon zusammengearbeitet.

Hecker: Die Kombination der beiden Länder ist in der Tat gefährlich, denn der Iran will Nordkoreas Technologie und Materialien, Nordkorea Irans Öl und Geld. Der Dialog mit Nordkorea darf nicht abreißen. Nordkorea, das seine Bombe ja als Abschreckung sieht, und der Iran können wahrscheinlich von einem Atomwaffeneinsatz abgehalten werden, Terroristen aber schon nicht mehr.

Dass Letztere Kleinbomben bauen, mit der in einer Stadt 100.000 Menschen getötet werden können, ist nicht leicht, aber eben auch nicht unmöglich. Nordkorea muss verstehen, dass sein Plutonium in diesem Fall identifiziert werden kann und dem Land die schärfsten Konsequenzen seitens der zivilisierten Welt drohen. Mir scheint, sie verstehen das.

STANDARD: Nun ist Nordkorea aber nicht der größte Gefahrenherd für Weiterverbreitung. Wie schaut Ihre Rangliste aus?

Hecker: Erstens Pakistan, denn sie haben alles: Bomben, Plutonium, hoch angereichertes Uran, Raketen, einen von Mord bedrohten Präsidenten, den Wissenschafter Khan (der mit Nukleartechnologie handelte, Anm. d. Red.), islamistischen Terrorismus. Nummer zwei ist Nordkorea, solange die Vereinbarungen nicht umgesetzt sind. Drittens die Forschungsreaktoren weltweit, die hoch angereichertes Uran, das leicht zu Bombenmaterial verändert werden kann, verwenden – das geschieht noch in 40 Ländern.

Nummer vier ist Russland; Nummer fünf Kasachstan, das nach seiner Unabhängigkeit zwar die Atomwaffen an Russland ablieferte, aber nicht sein ganzes Nuklearmaterial. Nummer sechs ist der Iran. Mit der eigenen Anreicherung, die sie seit 20 Jahren betreiben, sind sie noch einige Jahre davon entfernt. Wenn sie die Materialien haben, sind sie die zweitgefährlichsten nach Pakistan.

STANDARD: Müsste nicht Pakistan mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken?

Hecker: Obwohl die pakistanische Regierung amerikafreundlich ist, bleibt das Land für mich Gefahrenherd Nummer eins. Ich bin besorgt, was innerhalb des atomaren Komplexes vor sich geht. Die Causa Khan macht stutzig.

STANDARD: Was erwarten Sie sich von weiteren Sanktionen gegen den Iran?

Hecker: Ich bin ziemlich beunruhigt, was den Iran betrifft. Meine Hoffnung für den Iran sind auch der Dialog und die Diskussion. Jetzt zeigen die USA erstmals einen gewissen Willen. Da der Iran, ohne es zu deklarieren, geheim an einem Anreicherungsprogramm gearbeitet hat, wird er wohl mit zeitlichen Beschränkungen für eine eigene Anreicherung rechnen müssen.

Die Idee der Russen, dass der Iran nicht selbst anreichert, sondern Brennstoff vom Ausland bezieht, halte ich für den sinnvollsten Weg. Es könnten aber neben Russland auch weitere Länder dazugeschaltet werden, damit der Iran sich nicht völlig von einem Land abhängig fühlt. Das Recht des Iran auf Atomenergie kann man nicht infrage stellen. Die prinzipielle Frage wird sein, ob überhaupt und wenn, wie viel an eigener Anreicherung, erlaubt wird.

STANDARD: Zieht Russland mit den USA an einem Strang?

Hecker: Ich diskutierte diese Fragen soeben auch in Russland. Die Russen sind bereit, mit den Amerikanern zu arbeiten. Russische Atomoffizielle fragen mich seit zehn Jahren, warum die USA nicht mit ihnen im Iran kooperieren. Ich würde auch die Chinesen beiziehen. Und in direkte Verhandlungen mit dem Iran müssen neben den Russen auch Europa und die USA viel mehr eingebunden sein.

STANDARD: Noch kurz zum Raketenabwehrsystem: Die USA wollen Radar- und Abschussstationen in Tschechien und Polen aufstellen. Mit Ihren Erfahrungen aus dem Kalten Krieg – sehen Sie eine neue Rüstungsspirale heraufziehen?

Hecker: Ich bin besorgt darüber. Aber ich denke, der Wettbewerb und Konflikte werden viel mehr im Energiebereich stattfinden. Für das Nuklearestablishment kann ich sagen, dass wir seit 1992 bestens zusammenarbeiten. Auf Regierungsebene ging die Kooperation in den letzten Jahren zurück – ich denke, daran sind beide Seiten schuld.

Mich beschäftigt, dass Russland noch viel für den Schutz seiner umfangreichen Nuklearmaterialien und -technologie zu tun hat – vor allem in den vielen Forschungsinstituten liegt hoch angereichertes Uran. Außerdem versucht Russland, zivile Nuklearenergie in viele Länder zu exportieren. Iran ist diesbezüglich nur ein Testfall. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.3.2007)