Elias Bierdel, ehemaliger Vorsitzender des Komitees Cap Anamur, ist der Schlepperei angeklagt.

Foto: Michael Vosatka

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Im Juni 2004 fischte das deutsche Hilfsschiff Cap Anamur 37 afrikanische Flüchtlinge aus dem Mittelmeer vor der italienischen Insel Lampedusa. In den folgenden Wochen verweigerten die italienischen Behörden die Übernahme der Schiffbrüchigen; erst nach einer dreiwöchigen Blockade durfte die Cap Anamur einen sizilianischen Hafen anlaufen. Die Flüchtlinge wurden in der Folge großteils abgeschoben, das Schiff beschlagnahmt, der Kapitän, der erste Offizier und der Leiter der Hilfsorganisation, Elias Bierdel, für mehrere Tage inhaftiert. Seit November des Vorjahres läuft in Agrigento ein Prozess gegen die Crew der Cap Anamur. Michael Vosatka traf Elias Bierdel zwischen zwei Verhandlungsterminen.

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derStandard.at: Fast drei Jahre nach der Rettung von Schiffbrüchigen vor Lampedusa stehen Sie auf Sizilien vor Gericht. Wie lauten die Anschuldigungen?

Elias Bierdel: Wir sind zu dritt angeklagt, der Kapitän des Schiffes, der erste Offizier und ich. Wir werden der "Beihilfe zur illegalen Einreise", volkstümlich Schlepperei genannt, beschuldigt und zwar in einem besonders schweren Fall, weil es um mehr als sechs "Geschleppte" geht, dazu kommt der Vorwurf, das ganze bandenmäßig betrieben zu haben. Ganz offenkundig wurde noch extra deswegen der erste Offizier, der auf dem Schiff eigentlich gar keine Verantwortung trägt, dazugenommen, denn ab drei Personen ist es eben eine Bande. So kann man uns auch noch die "organisierte Kriminalität" vorhalten und damit wird ein Strafmaß von zwölf Jahren Haft erreicht.

derStandard.at: Sind Sie ein Schlepper?

Bierdel: Die beiden juristisch gesehen wichtigsten Kennzeichen der Schlepperei sind nicht erfüllt: die bestehen darin, dass Schlepperei erstens heimlich geschieht, davon kann aus verschiedenen Gründen bei uns keine Rede sein, und zweitens zum Zwecke des Gelderwerbs, auch davon keine Spur. Dennoch hat man sich für diese Anklage entschieden, und deswegen gehe ich davon aus, dass es sich um einen politischen Prozess handelt.

derStandard.at: Wie lief der Prozess bisher ab?

Bierdel: Es treten jetzt laufend Leute auf, im Moment sind es noch die Zeugen der Anklage, zum Teil ranghohe Beamte. Die haben damals glatt gelogen, offensichtlich auf Betreiben der Regierung in Rom, damit man uns stoppen kann. Damit verhindert wird, dass sich irgendjemand da draußen um die Leute kümmert, die in Not geraten. Was man ja auch erreicht hat: Unser ausschließlich aus Spendengeldern finanziertes, privates Hilfs- und Rettungsschiff war acht Monate lang als vermeintliches Tatwerkzeug zur Schlepperei beschlagnahmt. Mittlerweile existiert das Schiff nicht mehr, der Verein Cap Anamur hat erklärt, keine Rettungsaktionen mehr durchzuführen und ich bin nicht mehr Vorsitzender dieses Vereins.

derStandard.at: Gehen Sie davon aus, dass der Prozess mit einem Freispruch endet?

Bierdel: Natürlich. Auch bei einer Geldstrafe würden wir sofort in Revision gehen. Wir haben uns in keiner Hinsicht irgendeines Gesetzesverstoßes schuldig gemacht. Wir erleben jetzt, dass die Vorwürfe in sich zusammenbrechen. Ein Punkt, der uns vorgehalten worden ist, wir hätten versucht mit Gewalt in den Hafen durchzubrechen. Mit einem großen Schiff in einen Hafen einzufahren, obschon Polizeiboote davorliegen, das ist gleichbedeutend mit einem Mordanschlag auf die Beamten. Darum waren wir im Gefängnis. Das basiert auf der Aussage eines Polizeioffiziers, der hat das frei erfunden. Drei Offiziere haben nun im Kreuzverhör zwischen Verteidigung und Anklagevertretern eingeräumt, dass das nicht stimmt, sodass dieser Punkt jetzt fallengelassen wurde. So wird es Punkt für Punkt weitergehen. Wir werden in mühevollsten Prozeduren jeden Anklagepunkt widerlegen und am Ende kann nichts anderes stehen als ein Freispruch, weil wir eben keine Schlepper sind.

derStandard.at: Wie sieht es mit den Prozesskosten aus?

Bierdel: In Italien erhält man – anders als in Deutschland - keine staatliche Entschädigung, wenn sich eine solche Anklage am Ende als haltlos erweist. Das heißt, allein der Umstand, unter eine Anklage zu geraten, ruiniert im Grunde jeden normalen Menschen. Darum können ja auch die Fischer in Lampedusa den Flüchtlingen nicht helfen: Sie laufen Gefahr, dass ihr Boot beschlagnahmt und sie in einen jahrelangen Prozess ohne Anspruch auf Entschädigung verwickelt werden. Sie haben eine klare Anweisung, dass die Rettung von Schiffbrüchigen Sache der Behörden ist und sie nicht eingreifen dürfen.

Wir haben ja wenigstens den Rechtsschutz der Organisation Cap Anamur, in deren Auftrag wir unterwegs waren: Sie zahlen die Anwälte und Reisekosten. Obwohl es mich unglaublich wütend macht, dass Spendengelder, mit denen Menschen geholfen werden könnte, jetzt zu diesem Zweck ausgegeben werden müssen. Das ist ein Wahnsinn, wenn man drüber nachdenkt.

derStandard.at: Cap Anamur wurde ja in der Öffentlichkeit stark angegriffen - wie hat der Verein die Sache überlebt?

Bierdel: Meine Freunde sahen auf einmal die gesamte Arbeit gefährdet, durch das, was wir uns politisch und juristisch an Ärger eingehandelt haben, aber auch durch eine wirklich hämische und aggressive Pressekampagne in Deutschland.

Cap Anamur ist ja im Grunde wie eine Bürgerinitiative. Die Organisation lebt davon, dass 180.000 Menschen in Deutschland diese Arbeit regelmäßig unterstützen, damit ist ein bestimmter Fundus an Geld da, und dazu gibt es nochmal etwa 180.000 weitere Spender, die themenbezogen etwas geben. Und das ganze strikt unabhängig von staatlichen Stellen. Das ist meines Wissens die einzige Organisation in Deutschland, die in dieser Weise wirklich sagen kann, wir nehmen aus gutem Grund keine staatlichen Gelder an, wir wollen keine, um uns diese Unabhängigkeit zu erhalten. Nur haben wir hier eben auch die Grenzen gesehen.

derStandard.at: Der Gründer der Organisation Cap Anamur, Rupert Neudeck, hat Sie damals für die Aktion kritisiert. Aber auch er hat sich Ende der Siebziger Jahre mit seinen Rettungsaktionen vietnamesischer Flüchtlinge mit den Behörden angelegt. Was ist an der Situation im Mittelmeer anders als vor der Küste Vietnams?

Bierdel: Na sicher hat er auch Konflikte mit den Behörden gehabt. Ich bin auch ganz sicher, dass er genau versteht, warum wir uns heute dem stellen müssen, was im Mittelmeer oder vor den Kanaren los ist. Damals waren die Flüchtlinge aus Vietnam aus dem nach Sicht des Westens verlorenen Vietnamkrieg Opfer des Kommunismus und insofern hier eher willkommen. Nach der Schmach dieses verlorenen Krieges konnte man hier etwas Gutes tun für die Opfer des Kommunismus.

Die Vietnamesen hatten auch den Startvorteil des Klischees vom "fleißigen, anpassungswilligen Asiaten". Auf diesen Bonus können Afrikaner heute nicht hoffen. Damals gab es einen gesellschaftlichen Konsens über Parteien, Kirchen, Gewerkschaften hinweg, dass man Menschen, die in seeuntüchtigen Booten unterwegs sind, retten muss. Heute ist das unklar, ob wir auf diesem Teil unseres Wertefundaments überhaupt noch stehen, dass man Menschen, die vom Tod bedroht sind, auf jeden Fall erstmal helfen muss.

Rupert Neudeck weiß das alles und sein Verhalten in dieser Zeit ist rational nicht zu erklären, für mich jedenfalls. Allerdings ist er wohl jemand, der geschickter als ich einschätzen kann, was im Mainstream politisch noch vermittelbar ist oder was nicht mehr. Ich hab mich hier offensichtlich mit dieser Geschichte wirklich in hohem Maße unbeliebt gemacht und muss die Konsequenzen tragen.

derStandard.at: Wie hoch setzen Sie die Opferzahlen an den Grenzen der Festung Europa an?

Bierdel: Die europäische Politik bevorzugt das Verschwinden dieser Menschen irgendwo im Meer. Oder in der Wüste. Wie viele schon sterben, bevor sie überhaupt die Ufer erreichen, von denen sie dann aufbrechen wollen, das weiß niemand genau. Außer dass sie da draußen sterben und zwar zu tausenden.

Ich hab mich immer sehr zurückgehalten mit Zahlen. Es gibt diese "death list" einer holländischen Organisation, die steht bei mehr als 7.000 über zehn Jahre. Die zählen die Toten, sofern sie irgendwo offiziell werden. Es geht dabei um die Schengen-Toten.

derStandard.at: In welchem Zeitraum hat dieses Problem so stark zugenommen?

Bierdel: Das begann erst, als die Schengenverträge in Kraft traten. Bis 1990 war der Boots- und Schiffsverkehr im Mittelmeer vollkommen frei. Jeder fuhr, wohin er wollte, auch schwarze Menschen. Kein Visumzwang, kein gar Nichts, das war absolut ungeregelt. Seitdem haben wir diese Grenzen aufgezogen - um den Preis von immer mehr Toten. Die Militarisierung ist eine Logik, der ja auch Österreich folgt. So ein Wort wie "Assistenzeinsatz", da stellen sich mir sofort die Nackenhaare auf, weil wir doch aus gutem Grund eine strikte Trennung von Polizei und Militär durchhalten. Hier reißen ringsumher Zustände ein, die wir eigentlich in unserer Gesellschaft niemals wollten.

derStandard.at: Wie verhalten sich die Schiffsführer der kommerziellen Schiffe, wenn sie auf Flüchtlingsboote treffen?

Bierdel: Auf dem Wasser ist es grausiger Brauch, dass große Schiffe an den Booten vorbeifahren, weil sie einen solchen Ärger, wie er an uns exemplarisch durchexerziert wird, nicht riskieren dürfen. Die haben nicht so viel Zeit, ein Schiff verliert unglaublich viel Geld, wenn es irgendwo festgehalten wird. Wenn es nicht rechtzeitig seine Waren abliefert, dann sind Konventionalstrafen fällig. Immer wieder berichten Überlebende in diesen Booten, dass Schiffe einfach vorbeigefahren sind. Es hat den Fall gegeben, dass an einem Flüchtlingsboot acht große Schiffe vorbeigefahren sind, während die Menschen darin langsam starben. Obwohl genau registriert wird, wo welches Schiff unterwegs ist und es die Aussagen von Flüchtlingen gibt, hat es bis heute niemals einen Prozess gegeben gegen einen Schiffsführer, der an so einem Boot vorbeigefahren ist. Wohl aber mehrere Verfahren gegen solche, die hier was unternehmen. Das ist für mich eine entsetzliche Verkehrung der Verhältnisse, eine Verkommenheit unseres Rechts, die uns sehr zu denken geben sollte.

derStandard.at: Das Problem ist aber doch massiv: Im vergangenen Jahr wurden allein vor Lampedusa 16.000 Menschen aufgegriffen, vor den Kanaren 30.000.

Bierdel: Wenn man mit dem Schiff unterwegs ist, muss man heute grundsätzlich überall auf der Welt damit rechnen auf kleine Boote zu treffen, die von arm nach reich unterwegs sind. Die haben wir in Haiti gesehen und überall waren diese Boote vor Afrika. Die Alternative kann nicht sein, dass man diesen Menschen nicht mehr hilft. Das berührt ja den Kern humanitärer Arbeit, hier geht es ausschließlich darum Menschenleben zu retten. Und wenn das plötzlich verboten wird, dann haben wir Grund, sehr, sehr misstrauisch zu werden. Das ist ja nichts Neues: Russland verbietet, den Menschen in Tschetschenien zu helfen. Khartum verbietet Hilfe für die Menschen im Südsudan. Dass aber europäische Regierungen verbieten, an unseren europäischen Grenzen Menschen zu retten, die da zu Tausenden in höchster Gefahr sind, das ist nun doch was Neues.

 

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Zur Person
Elias Bierdel, Jahrgang 1960, studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Dortmund. Als Journalist unter anderem für WDR, hr, NDR und Deutschlandfunk tätig, 1998-2001 Korrespondent im ARD-Studio Südosteuropa. Von Januar-Juli 2002 als Projektmitarbeiter für Cap Anamur in Afghanistan, anschließend bis November 2004 Vorstand und Geschäftsführer des Komitees. Bierdel lebt als Autor und Journalist in Köln.

 

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Link
Website von Elias Bierdel (mit Prozesstagebuch)

 

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Hintergrund
Komitee Cap Anamur
Von vietnamesischen Boat People bis zur Rettungsaktion im Mittelmeer