Istanbul/Wien - Der ehemalige türkische Präsident und General Kenan Evren hat nicht nur ein Tabu gebrochen. Vor ein paar Jahren wäre er, mit seinem Vorschlag, die Türkei solle, um den Konflikt mit den Kurden zu lösen, zu einem Bundesstaat werden, wohl sicher noch ins Gefängnis geschickt worden.

Was ist geschehen? Evren hatte im Gespräch mit der Tageszeitung Hürriyet am 29. Februar gemeint, dass sich die Türkei eines Tages für den Föderalismus nach dem US-amerikanischen Modell entscheiden werde. "Sonst wird es keinen Frieden geben". Er kritisierte zudem die Zehn-Prozent-Hürde, die es unmöglich mache, dass kurdische Politiker ins Parlament in Ankara kommen.

Evren warnte auch vor dem erstarkenden türkischen Nationalismus. Man müsse die Realitäten, auch die "kurdische Realität", anerkennen. Und die Zukunft des Landes demnach gestalten. Zu den von ihm vorgeschlagenen künftigen Bundesländern gehört auch Diyarbakir, wo überwiegend Kurden leben.

Seit Evren seine Vorschläge öffentlich machte, wird er von beinahe allen politischen Lagern als Separatist beschimpft. Auch die Staatsanwaltschaft in der Provinz Mugla, wo Evren wohnt, hat bereits reagiert. Es wird ermittelt, ob er mit seinem Vorschlag ein Gesetz gebrochen hat.

Die Turkish Daily News bezeichnete die Situation als "kafkaesk". Denn Evren ist vor allem für seine Härte bekannt. Am 12. September 1980 führte Evren einen Militärputsch gegen die Islamisten in der Türkei durch. Gegner wurden gefoltert und getötet. Und die Aktivitäten militanter Kurden verstärkten sich zunehmend. Evren, der sich nun vorstellen kann, dass die Kurden ihr eigenes Bundesland bekommen, hatte ihnen dazumal jegliche eigene Identität aberkannt und sie als "Bergtürken" bezeichnet. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 20.3.2007)