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Das Unsichtbarmachen ist so stark: Die Arbeitsbelastung, die auf älteren Frauen lastet, wird nicht wahr genommen.
Foto: APA/EPA/Silvi

50- oder 60-jährige Frauen kümmern sich um 70- bis 80-Jährige, doch ihre Lebenssituation bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung unsichtbar. Das Projekt "sALTo" wendet sich an ältere Menschen und an die Öffentlichkeit und will Stadtteile mit konkreten Maßnahmen verändern.

Im Triesterviertel im zehnten Wiener Gemeindebezirk sind 30 Prozent der BewohnerInnen über 60 Jahre alt, acht Prozent mehr als im Wiener Durchschnitt. Die Grundhaltung der älteren Menschen ist eher pessimistisch. Dass sich die Greißlerin ihr Geschäft nicht mehr leisten kann und zusperrt, viele kleine Läden bei der Pensionierung der BesitzerInnen keinen Nachfolger finden und leer stehen, trägt zu dieser melancholischen Stimmung bei. "Wir wollen mit Hilfe von Plakaten und Postkarten aufmerksam machen auf hunderte Gründe um die Wohnung zu verlassen", berichtet die Landschaftsplanerin Efa Doringer. Ihr Büro "PlanSinn" und die Gesundheitsförderungs-Organisation diePartner.at steckt in der Analysephase des Projekts "sALTo", das ältere Menschen auch im Quadenviertel in Richtung auf ein aktiveres und selbstbestimmtes Leben unterstützen möchte.

Auftraggeber sind die MA 18, für Stadtentwicklung und Stadtplanung und die Bereichsleitung für Strukturentwicklung. "Wie vital ist ihr Stadtteil? Wir durchforsten das Grätzel nach Strukturen, die die Energie-, die Bewegungs-, die Mental- und Ernährungsbilanz im Stadtteil fördern. Die Maßnahmen, die wir ab Mai umsetzen wollen, werden nach den in Interviews und Straßenbefragungen erfahrenen Lebensbedingungen erarbeitet", meint Efa Doringer. Methoden aus der Gesundheitsförderung werden erstmalig in der Stadtteilplanung verwendet.

Fehlende Vernetzung

"Uns war es ganz wichtig, einen geschlechterspezifischen Ansatz mit hinein zu nehmen. Ältere Frauen sind diejenigen, die die Pflege machen. 50- bis 60-jährige Frauen müssen ihre über 70- oder 80-jährigen Mütter oder andere Verwandte pflegen. Ältere Frauen kümmern sich um Alte", erläutert Efa Doringer Altbekanntes. Die Vielfachbelastung von Frauen geht im Alter weiter. "Frauen, die noch arbeiten, kümmern sich um die Schwiegermutter. Das verschwindet so. Die Arbeitsbelastung, die auf älteren Frauen lastet, wird nicht wahr genommen. Das Unsichtbarmachen ist so stark." Postkarten auf türkisch sollen Migrantinnen über Straßenbefragungen erreichen. In bezug auf diese Gruppe muss noch mehr heraus gefunden werden, worauf sie anspricht. Im Gesundheitsbereich scheinen Migrantinnen z.B. großes Interesse an Möglichkeiten außerhalb eines Arztbesuchs zu zeigen, wie Selbsttests zum Blutdruck messen.

Das Projekt "sALTo" ist das Ergebnis eines Prozesses, bei dem in der Stadtplanung Interdisziplinarität gefordert ist. "Man muss nicht verzweifeln, dass uns die gebauten Strukturen einengen, sie sind veränderbar", meint Doringer. "Gesundheit funktioniert nicht, ohne die Stadtplanung anzusehen und umgekehrt." Die Ressourcen sind zum Teil schon vorhanden, es fehlt aber an der Vernetzung besonders älterer Frauen, damit unterstützende Angebote angenommen werden können.

Integrierte Spannungen

In der Wissenschaft der "Salutogenese" ist die Rede von den "Generalised Resistance Ressources", den allgemeinen Widerstandsquellen, die einen Menschen unterstützen können. Um überhaupt erst mal alt zu werden, ist eine permanente Integration von Störungen notwendig. Anpassungsfähigkeit an belastende Ereignisse ist gefragt. Nicht integrierte Störungen können soziale Strukturen zerstören. Doch Änderungen im Frauenleben, wie z.B. eine Scheidung, können auch positive Effekte in bezug auf die Gesundheit und die Lebenserwartung haben. Wie viel verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und wie gut man und frau ökonomische, soziale oder auch gesundheitsfördernde Ressourcen im Umfeld nutzen kann, spielt eine entscheidende Rolle im Alterungsprozess. Denn das subjektive Erleben z.B. einer Krankheit ist wichtig, nicht der objektiv festgestellte Gesundheitszustand.

Speziell Frauen müssen Spannungen in der Balance zwischen der Unterforderung durch eine prekarisierte Arbeit und der Überforderung durch Pflegearbeit aushalten und integrieren können. Die Verstehbarkeit, inwieweit externe und interne Lebens-Stimuli Sinn machen, und die persönliche Bedeutsamkeit als motivierendes Moment, in dem das eigene Leben Sinn macht, sind wichtig. Aber auch gesellschaftliche Komponenten, dass es z.B. Probleme gibt, die Engagement verdienen, spielen eine wichtige Rolle für geistige und körperliche Gesundheit. "Dass das biologische, das psychische und das soziale System sich gegenseitig beeinflussen, das ist das Entscheidende dabei", schreibt der Wissenschafter Ulrich Wiesmann in einem Beitrag zum Thema "Altern und Salutogenese aus der Gender-Perspektive". Und: "Ein Lebewesen wird somit als eine Einheit verstanden, das sich immer wieder selbst erzeugt." (Kerstin Kellermann)