Giuseppe Zigaina, "In die Lagune". Erzählungen. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. € 19,50/180 Seiten. Folio Verlag, Wien/Bozen 2006

Buchcover: Folio
Es bedarf das Rückgriffs auf einen zwar unvergessenen, aber inzwischen wenig gelesenen Titanen der italienischen Nachkriegskultur, um sich des friulanischen Künstlers und Autors Giuseppe Zigaina als einer Schlüsselfigur der Moderne zu entsinnen: Zigaina (73), viermal auf der Kunst-Biennale in Venedig ausgestellt, war ein enger Freund und Vertrauter Pier Paolo Pasolinis.

Dessen so niederschmetternd gewaltsamen wie mysteriösen Tod im römischen Ostia 1975 unterzog Zigaina einer Art von verständnisheischender "Relektüre". Unter Zuhilfenahme diverser Selbstaussagen verklärte der in Cervignano del Friuli Ansässige den vermeintlich Ermordeten als ausdrucksbesessenen Suizidalmythologen: Pasolini habe mit voller Absicht eine die Schranken des Todes übersteigende Geste setzen wollen, die das eigene Martyrium als liturgische Selbstfeier dem Gedächtnis der Menschheit überantworten sollte.

Doch wie verhält es sich nun mit den Schriftzeugnissen eines Künstlers, der im beabsichtigten "Scheitern" des zivilisationskritischen Freundes Spuren eines "gelebten Diskurses" zu erkennen glaubte? Zigainas von Karin Fleischanderl mustergültig wohltönend übersetzter Band von Erzählungen enthält die Sprossen und Szenen einer Poetik, die ihrerseits in der Anrufung der Heimat - der Lagune von Grado, des angrenzenden Plavatals - Wahrnehmungssplitter einer umfassenderen Verzückung zu gewinnen sucht. Die im Innewerden einer machtvoll wachgerufenen Kindheitslandschaft voller Akazien und Luzernen, vergilbter Fotoreste und graustichiger Lehrerinnenfiguren jene "Absencen" wiederherzustellen trachtet, die als Quellgründe für spätere, künstlerische Inspirationszustände herhalten können.

Zigaina schreibt, mit einem Wort, "Heimatliteratur" - freilich in jenem umfassenderen, beglückenden Sinn, von dem sich ein bornierter Regionalismus nichts träumen lässt. "Das absolute Geheimnis - die Kehrseite der Einsamkeit" nimmt im Modus der Kindheitserinnerung bereits die Schaffensräusche jenes arrivierten Artisten vorweg, der beim Verfertigen von Radierungen über die Doppelstruktur des Gehirns und die menschliche Merkfähigkeit im Besonderen nachsinnt. Der über die "Spitze des Stichels", also über jene Nadel ins Grübeln gerät, die im Werkstoff Zink die Strukturen einer verinnerlichten Welt kratzend nacherschafft.

Man wird als (freilich geduldig sein müssender) Leser Zigainas, irritierend genug, mit Welthaltigkeit belohnt: Das zwischen den Untiefen der Lagune dahintreibende Boot mit dem kleinen Giuseppe, der sich später, als Erwachsener, den Misshelligkeiten der Flauten und des Maestrals durchaus lebensbedrohend ausgesetzt sieht, trägt die Personen der Erinnerung wie ein (fragiler) Frachtkahn: Die widerstreitenden Gefühle von Verlust und Wiedergewinnung halten sich in dieser ruhigen, mustergültig austarierten Erzählprosa in etwa die Waage.

Und in der Tat: Auch Pasolini kehrt in zwei Erzählungen - die man lieber "Skizzen" nennen möchte - schemenhaft wieder: Als Regisseur des Medea -Films mit Maria Callas in der Titelrolle hatte er die Lagunenlandschaft als Set ausgesucht. Wiederum scheinen Zigainas Erinnerungen und Mutmaßungen aus dem Fluss der Zeit herausgeschöpft: Callas und Pasolini verband eine bestürzend intensive Liebesgeschichte, die sich - jedenfalls auf der Seite des Regisseurs - jede Aussicht auf Erfüllung verbot. Wie Zigaina hier das mythologische Naturdekorum mit dem mysteriösen Verhalten der beteiligten Figuren in Einklang bringt: ein Kunststück von vollendetem Takt, von berückender Anmut. Ein italienischer Traum. (Ronald Pohl/ DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.03.2007)