Unter Zeitdruck fürsorglich sein: Hilfswerk-Krankenpflegerin Isabelle Hasch macht Frau B. die Haare

Foto: Pumhösel
Um sechs Uhr früh steht Hilfswerk-Krankenpflegerin Isabelle Hasch im Zimmer von Herrn und Frau B. in einem alten Bauernhof im südlichen Mostviertel und ruft mit energischer Stimme: "Guten Morgen, aufstehen!" - "So früh! Wär um sieben Uhr auch noch bald genug", beschwert sich Frau B.

Ihr Mann war früher Alkoholiker, oft aggressiv, jetzt leidet er unter schwerer Demenz. Während er im Schlafzimmer versorgt wird, kommt Frau B. in die Wohnküche. Zwischen dem großen, alten Holztisch und den weißen 70er-Jahre-Küchenkästen wärmt sich die schmächtige Frau am Holzofen und blickt ins Leere.

Ein Schein von Betriebsamkeit

Als Hasch ihr beim Umziehen hilft, kommentiert sie ihre Tätigkeit und lädt damit die Patientin zur Unterhaltung ein. Die Worte bleiben oft Monologe. Später, beim Zubereiten des Frühstücks, ist es Frau B., die eigene Handgriffe kommentiert. Sie frühstückt im Stehen, zur Anrichte gewandt. Dann will sie abwaschen. Aber dort, wo sie jahrzehntelang gearbeitet hat, bleibt nur ein Schein gewohnter Betriebsamkeit aufrecht. Ihr Werken verläuft planlos. Viele Wege erledigt sie doppelt. Frau Hasch versucht alles möglichst schnell zu erledigen. Nachdem die Windeln des alten Mannes gewechselt und beide gewaschen sind, nachdem die Betten überzogen und der Restmüll entsorgt ist, kommt sie in die Küche zurück und kümmert sich kurz um die alte Frau.

Mit Plastikhandschuhen knüpft sie Frau B.s Schürze am Rücken zusammen und macht ihr die Haare. Dabei wird die alte Frau noch einmal resolut: "Kannst du's Haareflechten nicht? Fest musst du sie zusammenbinden. So, dass ich es spüre", beschwert sie sich in erdiger Mundart. Adrett sieht sie dann aus, im roten Pullover, in blauer Schürze und mit geflochtenem Zopf. Die meiste Zeit bis zur Lieferung des Mittagessens wird sie auf einem Hocker vor dem Fernseher sitzen. Das Einschalten des Geräts gehört zu den täglichen Tätigkeiten des Pflegepersonals.

Zeitnot

Keine 15 Minuten später steht Frau Hasch im Schlafzimmer von Herrn F. Der freundliche, neugierige 81-Jährige hat keine Zähne mehr, ist schwer zu verstehen, aber völlig klar im Kopf. Frau Hasch hat wieder viel zu wenig Zeit.

Das Wasser, mit dem sie den alten Mann in der Wohnküche wäscht, muss sie vorher auf der Kochplatte aufheizen. Herrn F. ist es zu heiß, dann wieder zu kalt. Zumindest geht das Gehen etwas leichter, seit Herr F. abgenommen hat. "Bis zum Sommer schaffen wir Bikini-Figur", witzelt Hasch.

Viel Zeit für Scherze bleibt aber nicht: Urinflasche bereitstellen, Einheizen, Einschmieren, Rasieren, Asche raustragen, Tee aufstellen, Frau Hasch wirbelt herum. Etwas später befinden sich Tee, Kuchen, TV-Fernbedienung und Medikamente auf dem Tisch bereitgestellt, laute Volksmusik tönt aus dem TV-Gerät. Das Fernsehen vertreibt auch Herrn F. den Tag. Manchmal erzählt er seiner Pflegerin aus der neuesten Folge von "Sturm der Liebe". Mit Frau Hasch hat er Glück. Eine frühere Schwester war ihm zu forsch. Er wehrte sich gegen ihre Pflege, bis eine andere kam.

Einige Patienten weiter, etwas nach elf, ist Frau R. an der Reihe. Wie bei vielen Bäuerinnen muss Hasch der 87-Jährigen nur die Füße verbinden, die im Laufe eines arbeitsreichen Lebens zuschanden gelaufen wurden. Frau R. hat 13 Kinder. Ihr erster Mann ist im Krieg geblieben, ihr zweiter starb noch in den 50er Jahren. Sie musste den Bauernhof allein führen. Jetzt erzählt sie von ihren vielen Enkelkindern und schert sich nicht um die kaputten Füße. (Alois Pumhösel, DER STANDARD print, 17./18.3.2007)