Eindringen ins Werk Entgegen gängigen Vorurteilen gegenüber dem "Regietheater", das genau Letzteres behauptet, betont Konwitschny: "Ich bemühe mich, tief in die Werke einzudringen, natürlich mit meiner subjektiven Sicht. Es ist auch mein großer Spaß dabei, dass ich mich sozusagen durch die Interpretationsgeschichte hindurchgrabe, hin zu den Stücken selbst. Darin liegt ja auch der Grund, warum viele das Werk nicht wiederzuerkennen glauben, aber sie erkennen eigentlich die Interpretation des Werks nicht wieder."
Dass es nicht um die eine, authentische Interpretation gehen kann, sondern darum, was die Werke in einer bestimmten Situation zu sagen haben, ist zwar für Konwitschny eine Grundüberzeugung – doch bekanntlich vermögen sich nicht alle Opernliebhaber dieser Einsicht anzuschließen: "Es ist für mich sehr traurig, dass da so ein großes Unverständnis besteht – der Wunsch nach nur einer richtigen Interpretation, möglichst noch aus der Zeit der Uraufführung! Die Werke fangen an zu sprechen, wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt, und sagen durchaus Unterschiedliches, je nachdem, zu welcher Zeit und an welchem Ort sie befragt werden."
Die besonders bei Wagnerianern verbreitete Meinung, die Opern des Meisters dürften nur in einer sakrosankten Fassung wiedergegeben werden, hat Konwitschny allerdings nicht davon abgehalten, mit Vorliebe Wagner-Opern neu zu befragen – wie nun eben den Fliegenden Holländer ab morgen, Sonntag, an der Oper Graz. Der Titelheld ist dazu verdammt, mit seinem Geisterschiff über die Meere zu segeln, bis er eine treu liebende Frau findet.
Es entspringt Wagners übersteigerter Theatralik, dass sich diese Frau, Senta, zum Beweis ihrer Treue ins Meer stürzt, während der Holländer mitsamt seinem Schiff untergeht. Doch Konwitschny blickt hin zu den Wurzeln des Konflikts: Für ihn ist der Holländer ein Stück, das "von zwei Außenseitern erzählt, deren große Tragik darin besteht, dass sie von der Gesellschaft nicht integriert werden können, dass ihre Potenziale vernichtet werden. Wagner hat ja am Ende geschrieben, dass sie dem Meer entsteigen, eng umschlungen, und gen Himmel fahren – sie verlassen uns!"
Und der Regisseur verweist auf die historische Distanz, die uns Heutige von Werken wie jenen Wagners trennt: "Dieser Stachel muss wieder pieken heute. Wenn sich eine Frau vom Felsen stürzt, ist das 1843 ein Schock. Leider ist es 2007 keiner mehr, weil wir durch so viele Katastrophen hindurchgegangen sind und sich das inflationiert hat. Ich meine deshalb, dass es mit einem Opfer am Schluss nicht getan ist, um den Schock, den es damals ausgelöst hat, auch heute wieder auszulösen." Drastische Mittel Dass Konwitschny dabei manchmal auch zu recht drastischen Mitteln greift, liegt in der Natur der Sache. Richtet er sich dabei auch manchmal gegen das Theater selbst? Konwitschny: "Ja, gegen eine bestimmte Weise von Theater – falschen Naturalismus, verkommenen Realismus. Heiner Müller sagte, dass man gegen das Theater schreiben muss, damit man es weiterbringt."
Dabei konzentriert sich Konwitschny allerdings ebenso auf theatrale Grundbedingungen, wie er diese beständig hinterfragt: "Ich meine, dass die Beziehungen der Figuren untereinander das Zentrale des Theaters sind. Wenn das formalisiert wird, geht die Wahrhaftigkeit kaputt."