Hintergrund der Krise ist die nun für den 15. April geplante Volksbefragung: Eines der Wahlversprechen des jetzigen Präsidenten Rafael Correa war es, die Verfassung von 1999 zu überarbeiten, um so die Macht der traditionellen Parteien im Kongress und die Korruption zu bekämpfen. Noch am Tag seines Amtsantritts, dem 15. Jänner 2007, beauftragte er die Wahlbehörden per Dekret, eine Volksbefragung zur Überarbeitung der Verfassung vorzubereiten.
Kongress umgeben
Auf diese Weise wollte der Wirtschaftsexperte, dem die parlamentarische Mehrheit fehlte, den Kongress umgehen und mit der Zustimmung der Bevölkerung eine verfassungsgebende Versammlung bilden. Das Oberste Wahlgericht machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung – und gab die Entscheidung an den Kongress weiter.
Der Kongress war zunächst keineswegs gewillt, die Volksbefragung zu unterstützen – schließlich ging es darum, dass möglicherweise die eigenen Rechte beschnitten wurden. Nach Verhandlungen mit dem neuen Innenminister Larrea wechselte jedoch die Partei des ehemaligen gestürzten Präsidenten Lucio Gutiérrez (Sociedad Patriótica) die Fronten. Schließlich hätte Gutiérrez als möglicher Spitzenkandidat für die verfassungsgebende Versammlung die Chance auf ein politisches Comeback. Ab diesem Zeitpunkt unterstützte auch die Oberste Wahlbehörde den Prozess: Der Präsident des "Tribunal Supremo Electoral", Jorge Acosta, unterstützt Gutiérrez.
Druck der Straße
Hinzu kam der Druck der Straße, beispielsweise stürmten Correa-AnhängerInnen am 30. Jänner 2007 das Parlament. So gelang es der Regierung schließlich am 13. Februar, eine knappe Mehrheit zu gewinnen: 54 von 57 anwesenden Abgeordneten stimmten für die Volksbefragung. Die Opposition war der Abstimmung zum Großteil fern geblieben. Im Nachhinein unternahm man jedoch noch einen Versuch, das Referendum zu stoppen: Fünf Abgeordnete brachten am Montag, den 5. März einen Antrag ein, mit dem die Volksbefragung für verfassungswidrig erklärt werden sollte.
Am 6. März stimmten 52 Abgeordnete für die Absetzung des Wahlbehörden-Präsidenten Jorge Acosta. Dieser erkannte seine Absetzung nicht an; vielmehr ließ er von der Obersten Wahlbehörde 57 Abgeordneten der Opposition ihr Mandat aberkennen; sie sollen nun durch nachrückende Mandatare ersetzt werden.
Absetzung durch den Abgesetzten
Bisher hat laut Medienberichten erst einer der abgesetzten Abgeordneten, Federico Pérez, sein Mandat zurückgelegt; einige Abgeordnete reichten Klagen gegen ihre Absetzung ein. Über diese dürfte jedoch frühestens ab dem 20. März entschieden werden, kündigte Jorge Acosta an.
Am Dienstag, den 14. März, kam es zu weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Correa-Anhängern, als einige der abgesetzten Mandatare versuchten, ins Parlament zu gelangen. Mindestens zwei Menschen wurden verletzt; einer davon schwer. Bei Straßenschlachten zwischen Correa-Anhängern und Unterstützern der entlassenen Abgeordneten wurden weitere Menschen verletzt; die Polizei setzte Tränengas ein.
Polizei schützt die Opposition
Am Donnerstag wurden erneut oppositionelle Abgeordnete in Quito angegriffen; die Menge verlangte, dass sie die Aberkennung des Mandats akzeptieren. Die Polizei trieb die Menschen unter Einsatz von Tränengas auseinander. In Rocafuerte in der Provinz Manabí musste die Polizei ebenfalls einschreiten, um Abgeordnete der Opposition zu schützen.
Unterdessen zeigten jedoch in Guayaquil, der größten Stadt des Landes, tausende DemonstrantInnen friedlich ihre Unterstützung für den Präsidenten und die Neuordnung der Verfassung. Correa selbst erschien allerdings nicht auf der Demonstration, was laut der Zeitung "El Universo" von den DemonstrantInnen kritisch gesehen wurde; er sandte seinen Wirtschaftsminister Ricardo Patiño als Vertretung.
“Somos Poder Constituyente“
Die sozialen und Indígena-Bewegungen stellten sich ebenfalls demonstrativ hinter Correa und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung: Die Abgeordneten der Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador (CONAIE), des Movimiento Montubio Solidaridad und der Sozialbewegungen präsentierten das Projekt "Somos Poder Constituyente" ("Wir sind die verfassungsgebende Macht").
Das Referendum, das ursprünglich für den 18. März geplant war, soll nun am 15. April durchgeführt werden. Umfragen zufolge dürften sich dabei rund 70 Prozent der EcuadorianerInnen für die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung aussprechen. Doch wer als Sieger aus den für den 17. Oktober geplanten Wahlen zur "Asamblea Constituyente" hervorgeht – Rafael Correa oder der Taktierer Lucio Gutiérrez – ist derzeit nicht abzusehen. Die Diskussionen über Statuten, Wahlverfahren und darüber, welche Personen oder Parteien antreten dürfen, dürften spannend werden – der Chef der Wahlbehörde, Jorge Acosta, überlegt bereits Schritte, um dem Ex-Präsidenten Lucio Gutiérrez seine politischen Rechte wieder zuzuerkennen.
Sympathiewelle
Laut Medienberichten wird Präsident Rafael Correa zwar in Ecuador von einer großen Sympathiewelle getragen; ihm fehlt jedoch derzeit noch eine starke politische Organisation. Correa hatte im November die Stichwahl gegen Álvaro Noboa überraschend klar gewonnen. Der Wirtschaftswissenschafter gilt als linksorientierter Globalisierungsgegner. In seinem Kabinett finden sich etliche AktivistInnen und WissenschafterInnen aus seinem früheren Umfeld – beispielsweise der Akademiker Ricardo Patiño (Wirtschaftsminister), der Menschenrechtsaktivist Gustavo Larrea (Innenminister) oder die WirtschaftswissenschafterInnen Janneth Sanchez (Sozialministerin) und Alberto Acosta (Energieminister). Der Frauenanteil in Correas Kabinett beträgt 40 Prozent; nach eigener Aussage vertritt er einen "sozialistisch-grünen" Kurs. Erste Maßnahmen zeigen seinen Fokus auf Armutsbekämpfung: Beispielsweise wurden die Sozialhilfe für Mütter und SeniorInnen (der "Bono") sowie die Zuschüsse für den Häuserbau armer Familien verdoppelt.