In St. Andrews ist Golf noch echte Handarbeit.

Foto: Robert Haidinger

Der Altmeister von Anderson & Sons empfiehlt Hickoryholz und eine ruhige Hand.

Foto: Robert Haidinger

Ball am "The Old Course".

Foto: Robert Haidinger

Es war ein besonderer Golfschläger: schottische Pinie statt Modell Tiger Woods. Schön krumm gewachsen, wohl in einem der kleinen Wäldchen, die von den Schafen der Grafschaft Five verschont geblieben waren. Die Ameisen waren vermutlich daran gewesen, was dem Holzprügel im Laufe der Zeit zu einer dezenten Perforierung und Rutschfestigkeit im Griffbereich verholfen hatte. Selbst die alten Hasen am Green klopften amüsiert daran, bevor sie in der nächsten grünen Rasenwelle untergingen. Der Knabe mit dem Holz hatte mit Untergehen freilich nichts im Sinn. Immerhin hatte er soeben den Golfsport entdeckt, zog die Kapuze einmal bis zu den Augen, ließ sie dann tief in den Nacken fallen – so wie es das jäh hervorbrechende Licht oder die feinen Sprühregen-Vorhänge es gerade erforderten. Denn vor allem war die Zeit knapp. Schließlich puttet man nicht alle Tage unangemeldet am Old Course des schottischen St. Andrews. Man tut das ebenso wenig, wie man an faden Nachmittagen eben einmal in Wimbledon Aufschläge übt.

St. Andrews Old Course ist nämlich der Heilige Gral des Golfsports, und die Zeit vor einem regulären Abschlag gleicht für viele dem Fegefeuer. Die Wiege des Golfsports, an der gelangweilte Schotten im 14. Jahrhundert erstmals Buchsholz-Kügelchen über den Rasen katapultierten, ist nämlich etwas überbelegt. Anmeldungen für das Spiel auf dem ältesten Golfplatz der Welt platziert man am besten 18 Monate im Voraus.

"Danger! Golf in process"

Das ist die eine Seite des schottischen Küstenstädtchens St. Andrews: Exklusivität und so viel Tradition, dass man sogar als Nichtgolfer das Gefühl bekommt, etwas verpasst zu haben. Doch man verpasst gar nichts – und darum geht es hier zunächst. Schieben wir also zur näheren Vertiefungen, nein: keinen Caddy, sondern einen schlichten Kinderwagen über den berühmtesten, ältesten Golfplatz der Welt, auf dem immerhin 27 Open ausgetragen wurden und der auch gestählten Profis noch Herzflattern verursacht. Kies knirscht unter den Wagenrädern, den Straßenschuhen.

Auch normale Spaziergänger können hier die legendären Gruselecken des Golfsports einsehen: Shell, Hell Bunker, das berüchtigte Road Hole. Einige Meter weiter rechts das Steinbrückchen Swilton Bridge – und Hinweistafeln für Spaziergänger. "Danger! Golf in process", besagen Letztere. Und: "Den Platz bitte so schnell wie möglich überqueren." Gründe, das zu tun, gibt es ja auch ohne tief fliegende Golfball-Geschoße zur Genüge: Erstens liegt ein flacher Sandstrand samt Promenade auf der anderen Seite des Old Course. Ferner die schrillen Schreie der Möwen und die weiß gestrichenen Pavillons der viktorianischer Seebad-Kultur. Alles da, plus herrlich salzige Luftbäder am Rand einer Landschaft, die sich sanft und in weichen, grünen Wellen der Nordsee entgegenwälzt. Bloß elektronische Sperren und hohe Mauern, fleckenlos wie Marines-Uniformen, und Security-Gorillas erspart einem der allerberühmteste Golfplatz der Welt. Das Prinzip Dagobert greift an der Wiege des Golfsports nicht.

Golf gehört allen

Was unbedarfte Besucher in St. Andrews erahnen, bestätigt erst recht ein Rundtrip durch die restliche Grafschaft Fife. Unmittelbar nördlich von Edinburgh, jenseits der Meerenge Firth of Forth, hat sich hier eine einzigartige Verdichtung an alteingesessenen Golfplätzen entwickelt – 45 Plätze, die Einblick in die Hinterhöfe schottischer Arbeitersiedlungen erlauben, Fairways, die einmal von Zuglinien durchschnitten wurden, und Golf Courses, die mit einem Clubhaus mit rauem Lagerhallen-Charme aufwarten – und dann mit einem ganz anderen, in einem 600 Jahre alten Schloss. Ein durchaus repräsentativer Durchschnitt, wenn man so will. Denn Golf ist in Schottland ein Spiel, das allen gehört, an dem sich Fabriksarbeiter, Intellektuelle und Reiche der gleichen Arbeit am eigenen Handicap stellen. Darauf verweisen allein schon die kleinen Indizien des Alltags: Bälle, die im Supermarktregal neben Arbeitshandschuhen und Dosenbier auftauchen. Schulkids, die im abgewetzten Trainingsanzug über Traumplätze schlurfen, weil am Fußballplatz nebenan nicht genug Burschen aufzutreiben waren. Also heißt es nun: Chippen. Pitchen. Putten. Schwingen. Mit den alten Schlägern der großen Brüder. Besser als Physik büffeln ist die angewandte Schwerkraft allemal ...

St. Andrews stellt mit mittlerweile zehn Plätzen in unmittelbarer Stadtnähe, mit exklusiven Läden, einem Golfmuseum und vor allem seiner weltweit einzigartigen Reputation als Mekka des Golfsports eine Ausnahmesituation dar. Klar, Groß-Golfbaustellen und 60 Millionen Pfund teure Prestigeobjekte künden auch hier davon, dass die Ausschluss-Mechanismen der Golfsport-Kommerzialisierung längst angekommen sind. Verschrobene Läden wie der auf historische Holzschläger spezialisierte von D. Anderson & Sons können daran nichts Wesentliches ändern. Wirklich volksnah wird das Sozioökosystem des Fife – grüne Dauerwelle mit Löchern drin – denn auch erst außerhalb des historischen St. Andrews. Saline ist so ein Fall. Neun Löcher. Ein Clubhaus, das nicht nur den Golfern, sondern dem ganzen Ort dient, als Pub, Tanzdiele, Bingo-Halle. Bergarbeiter legten den Golf Course an – während eines Minenstreiks. Kaum einer der Plätze, die nicht ähnliche Eigenheiten haben. Altes Industrieeisen und 300 Jahre alte Baumgiganten flankieren die Fairways, bei Cupar sogar eine Friedhofsmauer. Hier liegt Schottlands ältester Neun-Loch-Platz, und gleich nebenan die Toten, und außerdem eine Schutzzone für einen Friedhofsengel – aus feinmaschigem Hasendraht. Jetzt sind seine Steinflügel auch gegen verirrte Bälle immun. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Rondo/16/03/2007)