Oliver Welter im zweiten Leben von Naked Lunch. Waidwund, aber doch glücklich.

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Wien – Dass Naked Lunch heute die Wiener Arena ausverkaufen wie nichts und dabei ein Publikum beglücken, das vom progressiven Frührentner bis zum Mein-erstes-Konzert-Teenager reicht, ist nicht nur für die Zukunft der Band eine schöne Aussicht: Herwig Zamernik gesteht stellvertretend für das Quartett offen Rührung ein.

Zumal bis vor wenigen Jahren oftmals diagnostiziert wurde, Naked Lunch hätten ihre Zukunft schon hinter sich. Das erschien auch so – bis die seit den frühen 1990ern aktive Band vor zwei Jahren das Album "Songs For The Exhausted" veröffentlichte. Was wie ein (erschöpfter) Schlussstrich klang, stellte sich als international Aufmerksamkeit erregender Neustart heraus.

Auch das heuer erschienene, ungleich hoffnungsfrohere This Atom Heart Of Ours demonstriert, dass die nach William Burroughs gleichnamigem Roman benannte Band nach diversen Schicksalschlägen gefestigter denn je dasteht. Auch wenn das neue Album über weite Strecken ein waidwunder, oftmals gar selbstmitleidig ausgereizter Grundton dominiert, der zusammen mit immer wiederkehrenden Melodien gewisse Längen verantwortet.

Unterbrochen werden diese jedoch von wirklich ergreifenden Stücken wie dem live schon früh zu einem energetischen Höhepunkt ausartenden Waterfall, in dem sich Sänger Oliver Welter mit Bass- und Fuzzman Herwig Zamernik warm brüllten.

Den Liveauftritt prägte jedoch ein an verdrogte Velvet Underground erinnernder Sound, der mit einer Zärtlichkeit versehen wurde, die neben Welters Stimme vor allem der Multiinstrumentalist Stefan Deisenberger verantwortete, dessen Keyboard so etwas wie akustische Wattebausche zu entweichen schienen. Oder aber er doppelte mit zusätzlichen Beats das Tun des Schlagzeugers auf, etwa das wunderbare "First Man On The Sun". Eines dieser raren euphorischen Stücke, die "Songs For The Exhausted" bei aller Erschöpftheit auch vital erscheinen ließ.

Im aktuellen Hit, dem vom vollen Saal euphorisch mitgetragenen "Military Of The Heart", offenbarte sich schließlich live noch deutlicher der zweite große Einfluss der Band. Der Song, den Welter seiner Familie widmete, zehrt unzweideutig vom Erbe der Beatles oder diversen Nachlassverwaltern wie den britischen Oasis. Derlei Vergleiche mussten Naked Lunch schon öfter aushalten, auch jenen mit der deutschen Band The Notwist – von wegen Vereinigung von Rock mit behutsamer Elektronik. "Military Of The Heart" jedenfalls, dieses global gültige Stück Provinzglück, schloss Welter mit der Meldung "Das ist wahre Liebe" – und so versöhnlich, wie das klang, ging dieser Wir-sind-eine-große-Abend weiter und zu Ende. Die späte Einsicht: Nicht nur das Unglück gebiert große Kunst. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.3.2007)