Natürlich kann man sich an Strohhalme auch einfach nur klammern. Es ist ja bekannt, dass in schweren Stunden auch das eine Weile ganz leidlich funktioniert. Aber der israelische Designer Tal Gur hatte mit dem Recycling der beliebten Softdrink-Pipeline trotzdem anderes im Sinn. Er bietet uns gleich unzählige Strohhalme an. Und an die muss sich im Falle Tal Gurs "Sturdy Straw"-Möbel kein Mensch klammern. Wer der jungen israelischen Designer-Generation etwa im Rahmen von Londons "100% Design"-Shows oder aber beim Berliner "Design-Mai" über die Schulter sehen konnte, weiß Bescheid: Israel ist anders, auch beim Design.
"Move Chair" von Ezri Tarazi

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Querköpfig und unangepasst, zumindest mit stark ausgeprägten individuellen Handschriften und mit viel Sinn für humoristische Seitenhiebe ausgestattet, präsentierte sich Israels Design auch auf Amerikas erster im musealen Rahmen stattfindenden Bestandsaufnahme im Rahmen der Ausstellung "Solos: New Design from Israel" im New Yorker Cooper-Hewitt, National Design Museum. Für langjährige Beobachter der israelischen Gestalterszene ist dies allerdings kein Geheimnis mehr.
Strohhalmmöbel "Sturdy Straw" von Tal Gur

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Mel Byars, der Verfasser der opulenten "The Museum of Modern Art Design Encyclopedia", brachte dies bereits vor Jahren auf den lexikalisch verknappten Punkt: "Israelisches Design ist das bestgehütete Geheimnis der Welt des Designs." Das mag nun leicht übertrieben klingen, nicht nur, weil mit Ron Arad, dem gebürtigen Tel Aviver und Absolventen der Jerusalemer Kunstakademie, bereits einmal ein ganz Großer des aktuellen Designgeschehens seine ersten Karriereschritte in Israel absolviert hatte.
Einkaufswagen von Ido Bruno

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Die Zeiten, als Arad mit Reifensofas und Einzelstücken aus Altmetall den Blechtrommler der Avantgarde gab, scheinen vor Ort allerdings noch nicht vorüber zu sein. Markant sind die Arbeiten, mit denen mittlerweile auch international bekannte Entwerfer wie Umamy Design, Tal Gur oder Isaac Kaufmann Israels Design Kontur verleihen, allemal. Und besser noch: Sie versprühen jenen Charme von Hinterhof- Manufaktur, der den Aufbruch des Designs in den 1980ern auf recht unterschiedliche Weise charakterisierte - und den die durchgängig konzipierten Stilwelten des Gegenwarts-Designs heute unter dem Menüpunkt "Sperrmüll-Ästheten" ins jeweils aktuelle Gesamt-OEuvre integrieren.
"Bubbles", 2000 von Ayala Serfaty

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Aber das war es dann auch schon mit etwaigen vordergründig anzumerkenden Parallelen. Die Stilisierung des Mangels als bloße Akrobatik-Einlage des Lifestyle-Zirkus - damit halten sich Israels Entwerfer in der Regel nicht auf. Anders gewichtet sind die Prämissen, nach denen das Gros der israelischen Entwerfer vorgeht. Das Moment der Überraschung toppt die Ästhetisierung, und im Idealfall soll im Mikroskosmos der oft rau, unfertig und bewusst mit "Schönheitsfehlern" ausgestatteten Entwürfe auch ein leises Echo der Komplexität und Brüchigkeit der Welt widerhallen.
"Trust table lamp" von Ayala Serfaty

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Zev Perlmutters mit Styroporkügelchen bepolsterter Kühlschrank, eine Lowtech-Version von Wärmedämmung, mag als Beispiel für eine Design-Auffassung gelten, die nicht selten den Ästhetik-Tunnelblick der konsumorientierten Welt in Frage stellt. Mitunter reichen die Tüfteleien der israelischen Designer weit in die Werkstättentiefen des Herstellungsprozesses hinein. Tal Gur, der bereits 1996 mit speziellen Rotationsformen zur Herstellung von Stuhl-Kleinserien experimentierte, entdeckte ein neues Produktionsverfahren, Alon Razgour übte seinen Clinch mit einer lokalen Aluminiumfabrik, während Yaron Elyasi zur Herstellung seiner Leuchten und Stühle gleich eine eigene Kunststoffrecycling-Injektionsmaschine entwickelte.
"Still Life" von Ezri Trazi

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Talila Abraham entdeckte wiederum die Möglichkeiten photochemischer Verfahren: Scans von Häkelarbeiten werden dabei auf dünne Metallplatten übertragen, Handarbeit verschmilzt so mit moderner Technologie. Mitunter fließt auch Politisches ein. Ezri Tarazis "New Baghdad Table" ist so ein Fall. Der Tisch besteht aus hunderten unterschiedlicher, extrudierter Alu-Profile, die - wie so oft im israelischen Design - über pure Ornamentik hinausreichen. Denn die Geometrie der Profile stellt sich als Luftansicht Bagdads heraus, wie in einem Modell fürs Militär.
"Move Chair" von Ezri Tarazi

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Ein Bezug auf die politische Situation des Nahen Ostens - und sei es als Couchtischformat für private Räume. Der erfrischend improvisatorische Ansatz, bei dem Hirnschmalz, Hightech und Eigensinn allzu glatte Ästhetikkonzepte in Frage stellen, hat Design "Made in Israel" in Summe zu einer Art kollektiven Gegenentwurf werden lassen. Charakteristisch für die regionale Designszene ist neben dem Wie damit auch das Was. Die steinige politische Wüste vor oder hinter der Türschwelle, das stets präsente Klima von Gewalt und Ausnahmezustand haben das ihre dazu beigetragen, unkonventionelle Lösungen anzuregen.
Leuchte "Lighttree" von Elisha Tal

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Die renommierte Jerusalemer Bezalel Akademie für Kunst und Design, eine Institution, die vergangenes Jahr den runden Hunderter ihres Gründungsjahres feiert und die nicht zuletzt dank des Brain Drain exilierter Bauhaus-Professoren auf hochkarätige Design-Traditionen verweisen kann, unterstützt diese Ansätze. Und dann gibt es schließlich auch noch all jene Fragen der historischen Verankerung und Abgrenzung, die Israels Design auf vielfältige Art und Weise durchtränken.
"Stand by", 2002 von Ayala Serfaty

Mehr noch: Sie stellen eine - bewusst oder unbewusst angezapfte - Inspirationsquelle dar. Der Zugriff auf Symbole ist selten weit entfernt, wenn die kulturelle DNA des Ortes einfließt - und sich etwa das Lebensbaummotiv über den Umweg der Kunststoff-Gussform in eine stehende Obstschale verwandelt: Welche Früchte man auf Umamys "Still Life" platziert, ist dann nur mehr eine Frage des persönlichen Geschmacks. (Robert Haidinger/Der Standard/Rondo/16/03/2007)
Tisch "New Baghdad" von Ezri Trazi

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