Er verkörpert das gravitätische Zentrum der abendländischen Medizin, den historischen Anker der wissenschaftlichen Heilkunst in Europa: Hippokrates von Kos. Um 460 v. Chr. geboren, starb der Arzt der Überlieferung nach mit stolzen 85 Jahren. Die ihm zugeschriebene ethische Handlungsanleitung für den Ärztestand – bekannt als "Hippokratischer Eid" – ist in den Grundfragen bis heute stilbildend für moderne Varianten "ärztlicher Grundgesetze". Wo der alte Grieche auf göttlichen Beistand sann und mit "Ich schwöre bei Apollon" eröffnete, setzten seine Nachfahren im Weltärzteverband 1948 in Genf eine säkulare Deklaration auf, die die Ärzteethik so eröffnet: "Ich gelobe feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen." Darin stehen – wie bereits beim historischen Vorbild – etwa das Gebot, Kranken nicht zu schaden, und die Schweigepflicht. Von der Geschichte überholt wurden dagegen Hippokrates’ Verbote, Blasensteine zu entfernen oder "ein Abtreibungsmittel zu geben". Schwören muss heute überhaupt kein Mediziner irgendwas. Zum "Dr. med." wird man nicht per Eid, sondern per Bescheid. (nim/DER STANDARD-Printausgabe, 15. März 2007)