Es liegt am Krieg im Irak, dass Lieberman sich nunmehr einen „unabhängigen Demokraten“ nennt. Im Ostküstenstaat Connecticut, seiner Hochburg, hatten die Parteifreunde zur Kongresswahl im Herbst einen anderen Bewerber ins Rennen geschickt: Ned Lamont, einen Antikriegs-Kandidaten. Lieberman rächte sich, indem er es auf eigene Faust versuchte und Lamont deklassierte. Nun ist er im Senat, der kleineren, aber feineren Kammer des Parlaments, das Zünglein an der Waage. Eine Art Königsmacher, der zurzeit mächtiger ist als irgendeiner seiner Kollegen.
Denn der 66-Jährige lässt offen, ob er nicht doch die Fronten wechselt. Noch rechnet er sich, sobald es zu Abstimmungen kommt, dem Lager der Demokraten zu. Nur dank Lieberman besitzt die Partei, die den Esel als Wappentier führt, eine Mehrheit – die knappste aller Majoritäten, 51 zu 49 Stimmen.
Genau das ist der Grund, weshalb das Kräftemessen um Rückzug oder Verbleib im Zweistromland nicht so hart ausgetragen wird, wie es sich die Kritiker George W. Bushs wünschen. Noch im Jänner hatten die Demokraten ehrgeizige Pläne geschmiedet, wie sie die Kriegsmüdigkeit der Amerikaner im Kongress umsetzen wollten. Demnach sollten beide Kammern, sowohl Repräsentantenhaus als auch Senat, spätestens bis Februar einen Truppenabzug verlangen. Doch passiert ist, abgesehen von hitzigen Debatten, nur wenig. Joe Lieberman hat entscheidenden Anteil daran.
Falls die Legislative die Gelder sperrt, die der Präsident braucht, um die demnächst 150.000 US-Soldaten im Irak finanzieren zu können, will er die Seiten wechseln, hinüber zu den Republikanern. Das Ergebnis wäre ein Patt im Senat, dann hätte Cheney als Vizepräsident die entscheidende Stimme. Jede Irak-Resolution, die das Repräsentantenhaus verabschiedet, wäre im Senat „nach fünf Minuten nur noch reine Makulatur“, wie es Insider zugespitzt formulieren. Ein überstürzter Rückzug, glaubt Lieberman, käme einer „katastrophalen Niederlage“ für die USA gleich, „es wäre ein Sieg für den Iran und Al-Kaida und den islamischen Extremismus“.