In der "Pressestunde" hatte Gusenbauer noch gemeint, wenn Finanzminister Wilhelm Molterer (ÖVP) die Erbschaftssteuer nicht wolle, müsse er ihm erst erklären, wie er den Einnahmen-Entfall von 250 Millionen Euro sozial kompensieren wolle.
Umso überraschter sind die Genossen nun über den verordneten Retourgang des Parteichefs. ÖGB-Wirtschaftssprecher Erich Foglar hält den Wegfall der Erbschaftssteuer für "einen Schritt, der eindeutig in die verkehrte Richtung geht". Dies sei eine "rein populistische Geschichte und reine Klientelpolitik, vor allem von der ÖVP", schimpft Foglar im Standard-Gespräch. Er appelliere "dringend" an den Bundeskanzler, "das Ziel der Gerechtigkeit und Entlastung der Arbeitnehmer nicht aus den Augen zu verlieren". Foglar fordert eine "Steuerreform, so schnell wie möglich, mit dem Ziel der Entlastung und Verteilungsgerechtigkeit". Denn derzeit werde "Vermögen eigentlich kaum mehr besteuert, die Arbeitnehmer und die Konsumenten aber immer mehr", kritisiert Foglar.
Auch der Chef der Sozialistischen Jugend, Torsten Engelage, ist "nicht erfreut". Er wirft Gusenbauer "mangelnde Konsequenz im Vertreten von Parteiinteressen nach außen" vor. Um den mit dem Wegfall der Erbschaftssteuer entstehenden Einnahmenverlust zu kompensieren, fordert Engelage im Standard zudem: "Als Konsequenz muss die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden." Dass Gusenbauer jetzt einlenken musste, überrascht Engelage nicht: Jetzt räche sich, dass die SPÖ bei den Koalitionsverhandlungen "schlecht verhandelt" hat.
In der Arbeiterkammer warnt man vor den verteilungspolitischen Konsequenzen der Erbschaftssteuer-Abschaffung. Denn erwartungsgemäß werde der VfGH auch die Schenkungssteuer aufheben. Otto Farny, Leiter der Steuerpolitischen Abteilung der AK Wien zum Standard: "Wenn die Regierung da keine Ersatzlösung macht, dann kommt das ganze Steuersystem ins Rutschen." Unternehmen könnten damit künftig taxfrei Unternehmensanteile verschenken - was eine Erosion des Einkommenssteueraufkommens zur Folge hätte.
Schildbürgerstreich
Zudem wäre Österreich damit "das einzige westliche Industrieland, das weder eine Vermögenssteuer, noch eine Börsenumsatzsteuer, noch eine Erbschafts- und Schenkungssteuer hat". Und die Idee, die Erbschaftssteuer abzuschaffen und dann in veränderter Form wieder einzuführen, ist für Farny schlicht "ein Schildbürgerstreich".