Saxofonist Branford Marsalis gastiert im Konzerthaus.

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Wien - "Ich bin kein Politiker, der bedauern muss, mit 25 etwas gesagt zu haben, von dem ich jetzt, mit 46, sage, dass ich damit Unrecht hatte! Ich entwickle mich. Was ich getan habe, brachte mich zu diesem Punkt. Es ist nur: Ich fühle keine Notwendigkeit, es zu wiederholen." Wenn Branford Marsalis heute zu seiner Pop-Vergangenheit auf Distanz geht, dann passt das ins klingende Bild, das der Saxofonist von sich zeichnet, seit er das 1999 gegründete Quartett in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit gerückt hat.

Es ist das Bild eines Musikers, der die Jazztradition fokussiert und durchaus ideenreich aus ihr schöpft - ein Bild, an dem wohl auch sein jüngerer Bruder Wynton Marsalis Gefallen findet. Dieser, bekannt als neokonservative Ideologe des Jazz, warf Branford 1984 sogar aus der Band, als er bei Miles Davis anheuerte (dessen Rockjazz Wynton als kommerzieller Verrat gilt).

Thematische Vielfalt

Branford wurde in der Folge, als er 1985 in der Band von Sting einstieg und in den 90ern mit Buckshot LeFonque ein eigenes HipHop-R&B-Projekt betrieb, als spannendere Marsalis-Alternative gehandelt. Heute scheint der brüderliche Einklang wieder hergestellt - weshalb sich Branford Marsalis im Rahmen seines neuen, durch thematische Vielfalt und hohe instrumentale Kompetenz konvenierenden Albums Braggtown auch nicht in den aktuellen Trend jazziger Pop-Cover-Versionen eingeklinkt hat, obwohl er dafür prädestiniert scheint.

"Für mich macht das keinen Sinn", lautet die Begründung. "Fans von Sting etwa wollen keine Jazzversionen seiner Songs hören, sondern die Songs selbst. Jazz-Fans hingegen hören primär Jazz - sie kennen die Originale nicht. Zudem haben Pop-Songs zu wenig harmonische Substanz, um als Spielvorlage interessant genug zu sein." Braggtown offenbart stattdessen andere Vorlieben. Klassische Musik, vor allem die deutsche Oper hat es Branford Marsalis seit Jahren angetan, insbesondere - Richard Wagner. "Als ich in den 90ern musikalischer Direktor von Jay Lenos 'Tonight Show'-Band war, hörte ich jeden Tag nach der Arbeit den Ring. Drei Jahre lang! Als ich für ein Stück des Braggtown-Albums nun eine Melodie verwendete, die in meinem Kopf herumschwirrte, sagte mir jemand, das sei das Schicksalsmotiv aus der Götterdämmerung - also nannte ich es Fate."

Experimentierfreudig

Auch ein betont nah am Original gehaltenes, mit klassischem Saxofonton geblasenes (und gerade deshalb schwächelndes) Arrangement von Henry Purcells O Solitude, My Sweetest Choice findet sich auf dem Album. "Ich denke, kein Jazzer kann dieses Lied stärker machen, als es schon ist. Bei vielen Musikern habe ich den Eindruck, sie denken, sie sind cool, weil sie ein paar klassische Stücke kennen und Jazz-Akkorde draufsetzen. Ich habe zu viel Respekt vor der Klassik, um das zu tun." "Respekt" ist auch eines der Worte, das ihm über die Lippen kommen, wenn das Gespräch auf die aktuelle Diskussion um den europäischen Jazz, der für nicht wenige längst als experimentierfreudiger gilt ist als jener in den USA, kommt. "Europäischen Jazz" gebe es für ihn nicht, hat sich Marsalis in dieser Debatte bereits zu Wort gemeldet, nun führt er weiter aus:

"Jazz hat in Amerika begonnen. Jeder, der die Musik spielen will, kann sie spielen. Du beginnst bei den Wurzeln, bei Louis Armstrong, und arbeitest dich vorwärts. Ich denke nicht, dass es der beste Weg ist, klassische Musik zu spielen, indem man vortäuscht, Europa existiere nicht. Ich weiß, wer Beethoven ist, Mahler ist mein Hero! Ich sehe keine Notwendigkeit zu sagen: 'Keiner dieser Leute war mir wichtig! Wir haben unser eigens Ding!' Ich kenne auch keinen amerikanischen Musiker, der von 'amerikanischer Klassik' spricht - es gibt einfach nur klassische Musik. Und Jazz ist einfach Jazz." (Andreas Felber/DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.3.2007)