Peter Simonischek erkennt in Julius Caesar den politischen Zeitgenossen wieder: "Ich sah mir für die Rollenvorbereitung die deutsche Nachwahldiskussion noch einmal an: Als Schröder die Wahlsiegerin Merkel niedermachte! Unglaublich."

Zur Person
Der gebürtige Steirer Peter Simonischek (60) gehört nach prägenden Jahren an der Berliner Schaubühne seit 1999 dem Burg-Ensemble an. Er spielt - noch zwei Jahre - den "Jedermann" in Salzburg.

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Standard: Das Burgtheater erkundet den Kontinent Shakespeare. Sie spielen nach dem Endzeitkönig Oberon jetzt den Titelhelden in "Julius Caesar". Eine andere Art von Tyrann - aber ein doch ebenso fragwürdiger Herrscher?

Simonischek: Ich kann mich erinnern, am Stadttheater war das früher immer so. Man fragte: "Wo ist der rote Faden?" - und hat ihn nachträglich konstruiert. Eine Dramaturgenerfindung. Was steckt nicht alles im Wort "Faden"!

Ein Sommernachtstraum zeichnete in der Regie von Theu Boermans eine Endzeitgesellschaft. Wie die Natur auch nicht in Form eines Märchenwaldes einbricht, sondern in der Form einer Naturkatastrophe. Mein Oberon hatte etwas lächerlich Militärisches - ein versprengter Sonderling mit einem ganzen Bauchladen von Zauberelixieren. Caesar stirbt genau zur Hälfte des Stückes: am 15. März. Wenn Oberon ein versprengtes Überbleibsel ist, das den Abglanz einer ehemals funktionierenden Soldateska an sich trägt, dann kann man natürlich eine Überleitung zu Caesar herstellen.

Wie weit war er fällig? Das ist doch die Frage, die an dem Stück interessiert. Warum? Das römische Weltreich besaß unter Caesar seine größte Ausdehnung, und in dem Moment wird nicht nur die Galionsfigur, sondern der eigentliche Begründer dieses Weltreichs einfach um die Ecke gebracht.

Standard: Die politische Unvernunft liegt also bei den republikanischen Verschwörern?

Simonischek: Die Gründe sollen eigentlich Brutus und Cassius unter sich ausmachen: Wer da am ehesten die ,political correctness' für sich beanspruchen kann, und so weiter. Das berührt mich nicht so stark. War Caesar bereits in seiner Jugend ein Schwächling? Bloß weil das Cassius über ihn erzählt? Vielleicht erzählt Cassius damit - nach Shakespeares Willen - mehr über sich selbst als über Caesar ... Shakespeares Werk wurde auch eine "Republik voll Fehlern" genannt. Es sind nur äußerst ergiebige Fehler, sie erzeugen ein Klima der Mehrdeutigkeiten, der Ambivalenz.

Mich interessiert: Warum geht Caesar in den Tod? Ist er wirklich ahnungslos? Schwer vorstellbar - für jemanden, der sein Leben bis dato mit Machtpolitik, also Hinterhältigkeiten und Intrigen zugebracht hat. Politiker wie Caesar führten damals selbst das Schwert! Am besagten Tag nahm Caesar nun seine Leibwache nicht mit. Schwer vorstellbar, dass er angesichts so vieler Warnungen vor den "Iden des März" jede Vorsicht in den Wind geschlagen haben soll.

Standard: Er sucht den Tod?

Simonischek: Die ergiebigste Überlegung zur Figur lautet doch: Wie weit strickt da jemand an seiner eigenen Legende? Es fällt sehr auf, dass er sich im Senat provozieren lässt. Die Verschwörer gehen es geschickt an - streuen aus, dass ihm die Krone angeboten werden soll. Dann kommen frühmorgens alle, um ihn abzuholen: Das hätte ihn an einem normalen Tag stutzig gemacht.

So denkt er bloß: Aha, die bringen die Torte! Es geht um die Krönung! Wenn nun im Senat dieses Thema angeschnitten wird, das ihn reizt: Da, denke ich, merkt er, was es geschlagen hat. Und er reagiert genauso, wie es von den Verschwörern erwartet wird: Er trumpft auf, macht sich verbal schuldig. Er sei "standhaft wie der Nordstern selbst", der "am Firmament nicht seinesgleichen" habe. Das muss man ihm als Hybris auslegen.

Standard: Ist Caesar also lediglich das Opfer seiner Selbstinszenierung?

Simonischek: Er ist sich der Provokation bewusst. Zweitens ist er ziemlich sicher, dass er damit den Nagel auf den Kopf trifft - es ist so. Denn Recht geben ihm die 15 Jahre Bürgerkrieg nach seinem Tod: Es fehlt ohne ihn das machtpolitische Zentrum!

Das Volk, das zunächst geängstigt reagiert, lässt sich von Brutus dahingehend beruhigen, dass dieser sagt, er habe Caesar geliebt - hätte sich aber gegen dessen Herrschsucht für Rom und für die Republik entscheiden müssen. Darauf sagt das Volk nahtlos: "Sei du unser neuer Caesar, Brutus!" Das ist doch nicht so weit weg von dem, was wir uns in schlechten Zeiten wünschen - der Ruf nach dem starken Mann ist doch stets aktuell.

Standard: Existiert auf dem Theater überhaupt noch ein Bewusstsein für politische "Öffentlichkeit"? Es blieb Regisseuren wie Peter Stein vorbehalten, in der Salzburger Felsenreitschule auch wirklich plebejische Massenbewegungen nachzustellen.

Simonischek: Peter Stein interessiert sich für ein Theaterstück wie für ein Gebäude: Er will das ganze Ding vom Keller bis zum Dachboden mit der Taschenlampe ausleuchten - und hernach so komplex wie möglich auf die Bühne stellen. Finde ich großartig!

Es ist aber nicht jedermanns Sache, einen Chor von 40, 50 Statisten zu dirigieren. Das ist auch nicht der Zug der Zeit, und handwerklich beherrschen das nur wenige Regisseure. Der Stein konnte das. Je mehr Leute auf der Bühne waren, desto stärker war auch der Feldherr in ihm gefragt! Andere bekommen schon bei vier Mitwirkenden kalte Füße. Ein Luc Bondy zum Beispiel ist heilfroh, wenn nicht so viele Leute auf der Bühne sind ... Wenn er draufkommt, dass in Handkes Untertagblues 40 U-Bahnfahrer auf Regie warten, verliert er schlagartig die Lust, das Stück zu machen.

(DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.3.2007)