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Die zum japanischen Kirschblütenfest unter den Bäumen ausgebreiteten blauen Planen haben Tradition, ebenso wie das Feiern auf ihnen - oder auch die Mittagsschlaferln

Foto: EPA/Brown
Seit Wochen studieren amt- liche Knospenexperten den Stand seiner Triebe. Die Äste des Baumes stehen in schmerzendem Winkel nach oben und zur Seite. Man möchte nicht glauben, dass aus diesem kleinen alten Kirschbaum im Tokioter Yasukuni-Park schon bald eine weiß-rosa Pracht bersten wird. Und doch ist er derzeit einer der wichtigsten Bäume Japans. Er kündigt neben einer Reihe weiterer Referenzbäume "Sakura", die Kirschblüte, in Tokio an.

Bei der Meteorologischen Anstalt schätzt man, dass sich die Knospen an tausenden Kirschbäumen, die übrigens keine Früchte hervorbringen, um bis zu zwei Wochen früher als sonst öffnen werden. Heuer ist zum zweiten Mal seit Beginn der Wetterdokumentation im Jahr 1876 in Tokio kein Schnee gefallen, das macht die Metropole zum Zentrum der Frühblüte.

Ob dieser Effekt auch zu den Auswirkungen des Klimawandels zählt, will niemand genau bestimmen, jedenfalls wird "Blütenschauen" zum Volkssport, sobald die Knospenexperten der Meteorologischen Anstalt die Saison für eröffnet erklären. Die Jubelrufe werden zunehmend euphorischer: "Gehst du hin? Sie kommt! Sie ist bald da!", tönt es von Freunden, Kollegen und in Familien.

Ausnahmezustand

Feier-Tage begehen die Japaner dann buchstäblich. Das offizielle Japan ist schwer zu erreichen, und ganze Firmenabteilungen machen offiziell blau für das in diesem speziellen fall Hanami genannte Picknick. Schließlich geht der Chef mit, wenn nahezu alle die gleiche blaue Plane auf einem Zipfel Grün mit Kirschbaum darauf ausbreiten. Bentos, die typischen kleinen, mit Speisen gefüllten Schachteln, handgewuzelte Reissandwiches und die nötigen Flaschen Sake werden darauf abgeladen. Davor stapeln sich die Schuhe, denn japanischen Benimmregeln folgend betritt man selbst den Feierplatz im Freien nur in Socken.

Die Gastronomie wirbt bereits für exklusive Sakura- Menüs, die Supermärkte bringen ein Meer von Plastikblüten über den Kühlvitrinen in Stellung, und die Reisebüros freuen sich über die zusätzlichen Touristen und darüber, dass tausende quer durchs Land der Kirschblüte nachreisen werden, um sie zu fotografieren.

Gefeiert wird, bis auch die letzten Blüten zu Boden gefallen sind und so von jener Vergänglichkeit des Lebens berichten, für die sie symbolhaft stehen. Die Obdachlosen in den großen Parks sammeln anschließend wie jedes Jahr die vergessenen blauen Planen ein. Übrig bleiben Berge von Abfall. Voriges Jahr mussten allein in Tokio 158 Tonnen Müll unter den Kirschbäumen weggeräumt werden. (Andrea Waldbrunner, DER STANDARD print, 10./11.3.2007)