Der 26-jährige isländische Entertainer und Schmerzensmann Benni Hemm Hemm gab in der Szene Wien ein Konzert des Jahres: beseelt, wackelig und herzzerreißend schön.

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... über Mann und Frau und das Fehlen von Aluminiumfabriken im Heimattal.


Wien – Eines der traurigsten Lieder aller Zeiten und Literaturgeschichten nennt sich "Sex Eöa Sjö (Sechs Oder Sieben)". Es erzählt das Schicksal einer möglicherweise durch wodkabedingte Trübung des teilnehmend beobachtenden Dichterfürsten nicht genau erinnerten Gruppe von sechs (oder sieben) Seemännern. Die stechen von Island aus in See, um Fische zu fangen. Sie geraten dabei in jenen Sturm, den sich einst nicht einmal Wolfgang Petersen oder William Shakespeare vorzustellen wagten. Ein Mann stirbt und kehrt mit seinen Freunden als Geist an Land zurück – um dort bitter anzumerken: "Nie wieder!"

Der große und für derart harte, kalte Fakten des Lebens ziemlich junge isländische Entertainer Benni Hemm Hemm erzählt als Mittzwanziger diese Story in seiner Muttersprache. Und er erzählt sie mit der berückend umlautlastigen und blümerant wirkenden Sprache seiner Heimat.

Während sich dazu vier Blechbläser Richtung des Geistwesens von Elvis Presley nach Las Vegas im Winde verwehen lassen, dort auf Southern-Soul-Kaiser Al Green oder O. V. Wright treffen und Bassist wie Schlagzeuger die Ramones auf knieweichem Landgang geben, orgelt sich ein auch das Xylophon bedienender Keyboarder mit billigen Mandolineneffekten aus der Steckdose hin zu ergriffenen Männerchören. Jubel!

Knapp vor den Zugaben danken es die Leute der Band in der Szene Wien haltlos begeistert mit dem Spendieren diverser Wodka-Runden. Bitte gern, das Flügelhorn spielt dazu "Die Internationale" in Schräglage.

Wir sehen schon, ein Konzert des mit seinen Alben Benni Hemm Hemm und Kajak auf dem deutschen Label Morr Music erst während des letzten Jahres bekannt gewordenen Benedikt H. Hermannsson (Vertrieb: Soul Seduction) geht an die Substanz.

Geh nicht vorbei

Mit zum Weinen schönen, und wackelig interpretierten Liedern zwischen weißen Soul-Deutungen, hawaiischen Schnulzen, nordländisch-kühlem Folk-Pragmatismus, dem Sentiment von Blechbläsern aus dem mexikanischen Touristen-Bierzelt und einer gehörigen Prise von schmierigen Kitscheinlagen, die einst der aus einem Vorort von Graz stammende deutsche Schlagerkönig Christian Anders in den frühen 70er-Jahren in die Welt brachte – man erinnere sich an "Sechs Uhr morgens allein auf den Straßen", "Es geht ein Zug nach Nirgendwo" oder "Geh nicht vorbei" – zwingt Benni Hemm Hemm den Hörer gerade auch live über selige knappe zwei Stunden lang auf die Knie.

Dabei hält der Mann mit den trockenen Ansagen ("This is a senseless song about nature as itself", oder: "This is a song about building senseless bridges and roads") mit Pokermiene und allergrößtem sittlichen Ernst stets die Waage zwischen reinem und moll-lastig zur Funny-Van-Dannen'schen "Herzscheiße" aufgeblasenem Schabernack: "I could love you in a wheelchair, Baby, I could love you anywhere".

Und es geht um jene in die Herzensbildung vordringenden Themen, von denen wir bis zum Konzert noch gar nicht gewusst hatten, dass sie uns alle betreffen. Benni Hemm Hemm: "The next song is about what to do, when there is no aluminium-factory in your valley. I say: get a boat and be prepared!" Jugend und Drogen!

Die schon rein optisch äußerst inhomogen zwischen Computer-Nerd, Bierpunk, Rockabilly, klassischem Nachwuchsorchestermitglied im Freizeitlook und Besucher des Deutschen Kirchentages agierende Band jedenfalls scheint unmittelbar vor dem Beginn einer prognostizierten internationalen Karriere bestens aufgestellt. Sie spielt um ihr Leben. Diese Leute wollen runter von ihrer Insel. Aber nicht als Geist dorthin zurückkehren. "Nie wieder!"

Wer im Übrigen seinen besten Song gleich am Anfang verschenkt, hat sowieso gewonnen. In "Fight" geht es zu grindigen Mariachi-Klängen um dieses: "Men and women shouldn't stay together all the time. If yes, then you have to fight." Danke, Benni! (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.3.2007)