Berlin - Der frühere Chef des deutschen Auslands-Geheimdienstes BND, August Hanning, hat die Einstufung des ehemaligen Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz als Sicherheitsrisiko verteidigt. Damit war eine Wiedereinreisesperre im Jahr 2002 verknüpft. Hanning sagte am Donnerstag im BND-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages, es habe erhebliche Verdachtsmomente des Verfassungsschutzes in Bremen gegen Kurnaz gegeben.

Das Gesamtbild in Bremen von Polizei und Verfassungsschutz sei gewesen: "Dieser Mann ist zwar noch kein Terrorist." Aber die Menge der Indizien hätten für die Fachleute Anlass zu der Einschätzung gegeben, dass er in terroristische Aktivitäten verstrickt werden könnte. Hanning nannte unter anderem die überstürzte Abreise von Kurnaz nach Pakistan als Hinweis. Man sei davon ausgegangen, dass der in Bremen geborene Türke im Jahr 2001 in Pakistan oder Afghanistan am Jihad ("Heiliger Krieg") gegen die USA teilnehmen wollte.

Keine Kontakte zur Terrorszene

Hanning bestätigte, dass die Befragung von Kurnaz durch zwei BND-Mitarbeiter und eines Verfassungsschützers im September 2002 in Guantanamo keine Erkenntnisse über dessen Verstrickung in die Terroristenszene in Pakistan und Afghanistan ergeben habe. Kurnaz sei nicht in einem Ausbildungslager gewesen, habe sich nicht den Taliban angeschlossen und nicht in Afghanistan gekämpft. Das seien wichtige Erkenntnisse gewesen. Hanning wies aber darauf hin, dass die Erkenntnisse der beiden Agenten lediglich auf Aussagen von Kurnaz selbst beruhten. Daher habe er ihre positive Beurteilung nicht geteilt. Hanning widersprach auch der Darstellung von Kurnaz, er sei in Guantanamo gefoltert worden. Dies decke sich nicht mit den Angaben, die Kurnaz bei der Befragung durch BND-Vertreter gemacht habe.

Auf Grundlage der Einstufung der Chefs der deutschen Sicherheitsdienste im Oktober 2002, wonach Kurnaz potenziell gefährlich sei, wurde gegen den damals 20-Jährigen eine Einreisesperre verhängt, falls er aus dem US-Lager auf Kuba freigelassen werden sollte.Hanning betonte, er habe es damals nicht für möglich gehalten, dass auf Guantanamo gefoltert werde und dass dieses "inhumane" Lager auch 2007 noch bestehe.

Freilassung verzögert

Nach Hanning war dessen Nachfolger als BND-Präsident, Ernst Uhrlau, vor den Ausschuss geladen. Der Untersuchungsausschuss will klären, wie sich die damalige rot-grüne Regierung ab 2002 im Fall des in Bremen geborenen Türken Kurnaz verhalten hat. Der Regierung von Kanzler Gerhard Schröder wird vorgeworfen, auf ein Angebot zur Freilassung von Kurnaz nicht eingegangen zu sein. Sie habe vielmehr versucht, dessen Rückkehr nach Deutschland zu verhindern, weil sie ihn für einen gefährlichen Islamisten hielt.

Die Regierung soll einem Bericht zufolge Kurnaz' Freilassung im Sommer vergangenen Jahres um mehrere Wochen verzögert haben. Wie die "Berliner Zeitung" unter Berufung auf geheime Regierungsunterlagen berichtet, lehnte das Auswärtige Amt im Juni 2006 ein Angebot der USA ab, Kurnaz mit einem deutschen Flugzeug in dem Gefangenenlager abzuholen.

Das Blatt beruft sich auf eine Gesprächsnotiz eines Beamten des Bundeskriminalamtes vom 2. Juni. Demnach wäre die Abholung die schnellste Lösung gewesen. Ein Transport der US-Streitkräfte würde dagegen mindestens 30 Tage dauern, soll der Beamte geschrieben haben.

Das Auswärtige Amt wollte sich am Mittwochabend auf Nachfrage zunächst nicht zu dem Bericht äußern und verwies auf das laufende Verfahren im Untersuchungsausschuss des Bundestages. Der in Bremen geborene Türke Kurnaz war von Februar 2002 bis August 2006 in Guantanamo inhaftiert

Ministeranhörung später

Kurnaz war nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA bei einer Reise in Pakistan festgenommen und den USA überstellt worden. Die Vereinigten Staaten hielten ihn zunächst in Afghanistan und dann bis 2006 in dem Lager Guantanamo auf Kuba fest.

Wegen der Befragung weiterer Zeugen will der Ausschuss den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und den früheren Innenminister Otto Schily erst Ende März hören. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder, sagte in einem Fernsehinterview, die Befragung von Steinmeier als ehemaliger Kanzleramtschef und von Schily verschiebe sich wegen der Befragung anderer Zeugen auf den 29. März. Ursprünglich war sie eine Woche früher geplant. (APA/AP)