Von Soliman zu Omofuma - Afrikanische Diaspora in Österreich. 17. bis 20. Jahrhundert (Studienverlag, 2007)

Inhaltsverzeichnis

  • Sklaven, Fremde, Freie - Wiener "Mohren" des 17. und 18. Jahrhunderts (Walter Sauer, Andrea Wiesböck)
  • Angelo Soliman: Mythos und Wirklichkeit (Walter Sauer)
  • Beten - dienen - unterhalten (Zur Funktionalisierung von AfrikanerInnen im 19. Jahrhundert in Österreich (Christine Sulzbacher)
  • "Vom Morgenhauch aufstrebender Cultur durchweht". Ägyptische Studenten in Österreich 1830 bis 1945 (Marcel Chahrour)
  • Vorwiegend negerische Rassenmerkmale: AfrikanerInnen und farbige "Mischlinge" im Nationalsozialismus (Herwig Czech)
  • Marokkanische Besatzungskinder in Vorarlberg nach 1945 (Hamid Lechhab
  • Afro-österreichische Diaspora heute. Migration und Integration in der 2. Republik (Walter Sauer)
  • Marcus Omofuma
Foto: studienverlag.at

"Angelo Soliman war in stehender Haltung mit zurückgerücktem rechten Fuße und vorgestreckter linker Hand dargestellt, mit einem Federgürtel um die Lenden und einer Federkrone auf dem Haupte, die beide aus rotem, weißen und blauen, abwechselnd an einander gereihten Straußfedern zusammengesetzt waren. Arme und Beine waren mit einer Schnur weißer Glasperlen geziert und eine breite aus gelblichweißen Münz-Porcellanschnecken zierlich geflochtene Halskette hing tief bis an die Brust herab."

 

Abbé Simon Eberle, Direktor des kaiserlichen Naturkabinett, hatte bereits am 15. November 1796, fast eine Woche vor dem Tod von Angelo Soliman, bei der niederösterreichischen Landesregierung die „Überlassung der Leiche des Mohren Soliman“ beantragt. Er sollte nach seinem Ableben in der kaiserlichen Privatsammlung archiviert werden, wo er letztendlich gegen den Willen seiner Familie auch landete, als Objekt für eine tropische Schaubühne, auf welcher der zu seinen Lebzeiten berühmte „Hofmohr“ als Elefanten- oder Kamelreiter der Öffentlichkeit präsentiert werden sollte.

Doch die Pläne des Museumsdirektors gingen nicht vollkommen auf. Solimans Tochter, Josepha, hatte Beschwerde eingelegt und war angeblich sogar bis zur höchsten Instanz, dem Kaiser, vorgedrungen, um gegen die anatomischen Experimente und Exhibition ihres verstorbenen Vaters zu protestieren. So wurde vom Modell eines Elefantenreiters zwar absehen, sein Körper wurde dennoch in einem durch einem Vorhang geschützten Glaskasten aufbewahrt.

Vom Subjekt zum Objekt

Die Pärparierung und zur Zurschaustellung von Leichen war für das Wien jener Zeit nichts vollkommen Neues. Seit den Türkenkriegen herrschte in Österreich die Tradition, Köpfe von getöteten osmanischen Anführern als Beweise an die Behörden zu senden. Aber nicht nur das: um vor bösen Geistern abzuschrecken, steckte man konservierte Türkenleichen in die Rauchfänge.

Der eigentliche „Skandal“, welchen die museale Verwertung hervorrief, lag vielmehr in Solimans gelungener Emanzipation vom Status eines Leibeigenen in die Gesellschaft begründet: trotz seiner gesellschaftlichen Position und Integration wurde er in den vermeintlichen Naturzustand rückgesetzt und somit zum Objekt der Schaustellung degradiert.

Gesellschaftliche Abgrenzung

Als Kind von Sklavenhändlern geraubt, war Soliman von Afrika nach Sizilien gebracht worden. Nach mehrmaligem Besitzerwechsel gelangte er 1754 in die Hände des Fürsten Wenzel von Liechtenstein, dienste dort als Kammerdiener und gelangte durch Glück auch zu finanziellem Reichtum. Durch seine, vom Fürsten nicht genehmigte Hochzeit mit Magdalena Kellermann verlor er 1768 seine privilegierte Stellung als "Hofmohr". Rund fünf Jahre lang verdingte sich Soliman als Privatier, bis er 1773 von Fürst Franz Joseph wieder in den Dienst der Liechtensteins aufgenommen wurde. Acht Jahre darauf folgte seine Aufnahme in die Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“, in der er als Vertrauter des bekannten Aufklärers Ignaz von Born galt. Am 21. November 1796 starb Angelo Soliman nach einem Schlaganfall in Haus Zum Mandl (heute: Freyung 9, 1. Bezirk).

Da es ihm gelungen war, Teil der bürgerlichen Gesellschaft zu werden, formierte sich Protest gegen seine Ausstopfung und damit gegen den staatlich forcierten naturwissenschaftlichen Rassismus. Diese ersetzte gesellschaftliche Abgrenzung wie Stand oder Religion zunehmend durch „Rasse“, schreibt Walter Sauer, Herausgeber dieses Sammelbandes und Verfasser des Kapitels „Angelo Soliman. Mythos und Wirklichkeit“.

Auch später fanden solche so genannten „Ausschoppungen“ statt, sie lösten aber keine breite öffentliche Bestürzung mehr aus, weil die Betroffenen als Personen „niedrigen Stands“ galten: unter anderem die eines sechsjährigen Mädchens (ein Geschenk der Königin von Neapel an den Kaiser). Michael Anjou, einem mauretanischen Tierwärter in Schönbrunn, widerfuhr im Jahr 1800 posthum das zuvor Soliman angedachte Schicksal: er wurde als Kamelreiter präpariert.

"Besatzungskinder"

"Von Soliman zu Omofuma" ist eine ausführliche und tiefgehende Auseinandersetzung mit der Thematik rund um MigrantInnen afrikanischer Herkunft nach Österreich. In chronologischer Reihenfolge setzen sich die AutorInnen mit Aspekten der afrikanischen Migration nach Österreich auseinander, beginnend im späten Mittelalter. Sie präsentieren zum Teil vollkommen neue Erkenntnisse, darunter die Repressionen und Ermordung von AfrikanerInnen und ÖsterreicherInnen mit afrikanischem Hintergrund während des NS-Regimes. Auch die Auseinandersetzung mit dem Thema von Kindern aus den Beziehungen zwischen Besatzungssoldaten marokkanischer Herkunft mit Österreicherinnen nach dem Zweiten Weltkrieg hatte es zuvor kaum von Vorarlberg bis in das östliche Bundesland geschafft.

In den Beiträgen werden zahlreiche, bislang unbekannte Quellen aus Archiven in Österreich und Tschechien aufgearbeitet, wodurch sich ein komplexes Bild der Geschichte von AfrikanerInnen in Österreich ergibt. Insbesondere beschränkt es den Beitrag dieser MigrantInnengruppe nicht auf eine Rolle als Opfer, sondern bezieht sie aktiv in die historische Entwicklung dieses Landes mit ein. Und das trotz des seit Ende des 18. Jahrhunderts etablierenden biologischen Rassismus und der im letzten Kapitel des Sammelbandes beschriebenen, zunehmend verschärften Fremdenrechtspolitik.

Bestückt ist das umfangreiche Werk mit zahlreichen Bild- und Textdokumenten und die ausführliche Bibliographie zeugt von einer bereits breiten und mehr oder weniger ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Thema auf wissenschaftlicher wie medialer Ebene. Auf diese Weise ist ein faszinierendes, biographisches sowohl sozialhistorisches als auch sozialkritisches Buch entstanden, das auf die Erscheinung eines Nachfolgewerks hoffen läßt. (hag/ derStandard.at, 8.3.2007)