Bild nicht mehr verfügbar.

Alles muss man selber machen: David Lynch kuratiert (s)eine Werkschau in der Pariser Fondation Cartier.

Foto: AP/Michel Euler
Die Fondation Cartier pour l'art contemporain, seit 1994 in dem von Stararchitekt Jean Nouvel erbauten Glashaus am Boulevard Raspail untergebracht - sie ist eine anerkannte Avantgarde-Adresse. Der 2006 in Venedig für sein gesamtes Filmschaffen mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Cineast David Lynch gibt hier nun Einblick in 40 Jahre zeichnerische und malerische Praxis, gleichsam den Ursprung seiner Kreativität.

Die Schau mit dem Titel The Air is on Fire ist die umfassendste Präsentation, die es je rund um Lynch gab: ein Gesamtwerk im Doppelsinn des Wortes, da der heute 60-jährige US-Künstler, der in Philadelphia die Kunstakademie absolvierte, jedes Detail gestaltete, bis hin zu den von ihm entworfenen Metallständern, an denen seine Gemälde hängen. Inklusive des interaktiven Sounds mit Industrietönen und Feuerknistern, den das Publikum durch Knopfdruck variieren kann. Eine Tonschicht legt sich über die andere, bis an die Grenze des Erträglichen.

Für Lynch ist Film "Ton und Fiktion im Zeitraum". Seine Präsentation, die mit erdigen, dunklen Gemälden bzw. Francis-Bacon-Variationen beginnt, ist denn auch ein visueller und auditiver Parcours in das Unbewusste eines Mannes, der sich selbst als "sehr glücklich" bezeichnet, obwohl das Unheimliche sein Werk wie ein programmatisches Leitmotiv durchzieht. Seit 35 Jahren betreibt er transzendentale Meditation, denn: "Je tiefer man in sich hineindringt, umso glücklicher wird man", verkündet er stoisch.

Wenn man Lynchs Gemälde, Fotos und Skizzen betrachtet (Letztere hielt er u. a. auf Hotelblöcken oder auf Papierservietten des Restaurants "Bob's Big Boy" fest), tendiert man dazu, diesen Glücksbegriff zu relativieren. Die Skizzen zeigen häufig geometrische, abstrakte Formen, vorwiegend in Schwarz-Weiß oder Grau. Viele haben die bewusste Naivität von Kinderzeichnungen. Eine schwarze Wolke, aus der "Regen" rinnt. Das Wort "Regen" gehört zur Bildaussage des kleinen Blattes. Ein Pferd vor einem Haus, über dem der Mond steht. Auf Datierungen der von 1960 bis 2006 reichenden Werke wurde verzichtet.

Das Thema des Hauses durchzieht die gesamte Schau und findet seinen Kulminationspunkt in einem begehbaren Interieur-Filmdekor mit farbiger Motivtapete an Wänden und Plafond sowie buntem Teppichboden. Ein schwarz-weiß gestreiftes Kanapee mit Fauteuil wartet nur auf den Filmemacher, der sein "Zimmer" mit zwei phallischen Märchenskulpturen, die wie Dornröschen-Büsche um je einen Damenschuh herumwachsen, flankiert.

Akt-Fragmente

Hinter diesem Holz-Interieur befindet sich die am Computer bearbeitete Fotoserie Distorted Nudes (2004), wo Lynch erotische Fotografien von 1840 bis 1940 in abstrahierte Frauenakt-Reste verwandelte. Lynchs gesamtes bildnerisches Werk rezipiert und variiert auf wunderbare Weise die Foto- und Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Mit eindeutigen Parallelen zu Francis Bacon und Hans Bellmer, aber auch zu Miquel Barcelo und Alberto Giacometti.

Lynchs erdfarbige Malerei mit ihren Collage- oder Relief-Effekten wird aussagestark durch gemalte Blockbuchstaben, die einfache Sätze bilden. "Bob sees himself walking to war." Oder: "Bob finds himself in a world for which he has no understanding." Ein an die klassische Malerei des 19. Jahrhunderts erinnernder Frauenakt wird durch einen Riesenpenis zum kopflosen Hermaphroditen.

Unheimlich sind die Riesengemälde in protzigen Goldrahmen, z. B. mit der Aufschrift: "This man was shot 0,9502 seconds ago" (Dieser Mann wurde vor 0,9502 Sekunden erschossen). Aus seiner blutigen Brustwunde quillt eine Art Sprechblase mit der Aufschrift "Spirit". Auf einem anderen Gemälde fragt ein Mann mit gezücktem Messer eine nackte Frau: "Do you like to know more about me?" "No", lautet die lakonische Antwort.

Für die Filmfans bietet Lynch neue, kurze Zeichentrickfilme, Varianten seines 1977 gedrehten Films Eraserhead. Auch das Deckblatt zum Screenplay von Blue Velvet (1986) lässt das Herz der Kenner höher schlagen. (Olga Grimm-Weissert/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 3. 2007)