Gitarrist und Sänger Ibrahim Ag Alhabib (Dritter von rechts) und seine Wüsten-Blues-Band Tinariwen aus der Sahara von Mali gastieren Di., 6. 3., in der Szene Wien.

Foto: Lotus
Wien - Die Geschichte des Bandleaders, Gitarristen und Sängers Ibrahim Ag Alhabib beginnt Ende der 70er-Jahre in den Kriegswirren des damaligen Bürgerkriegs im nordwest-afrikanischen Mali. Wie so viele andere Bewohner dieses kargen Landes befand sich der Vierjährige gemeinsam mit seiner Großmutter als Angehöriger eines aufständischen Tuareg-Stammes damals auf der Flucht vor der Armee seines Heimatlandes ins nördliche Algerien und später dann nach Libyen. Er ist trotz des nunmehr herrschenden Friedens im Heimatland seitdem ein Wanderer (zwischen den Welten) geblieben.

Spätestens heute, nach dem Tod des Übervaters des "Desert Blues", dem im März 2006 verstorbenen Ali Farka Touré, muss Ibrahim Ag Alhabib mit seinen relativ jungen 32 Erdenjahren gemeinsam mit seiner als loses Familienunternehmen geführten Band Tinariwen und ihrem aktuellen Album Aman Iman (für: "Wasser ist Leben") als eine der zentralen Figuren einer vor einigen Jahren im Rahmen des Weltmusik-Booms entdeckten Musik gelten, die sich nicht so sehr durch vordergründig vermittelte "Wahrhaftigkeit" und "Ursprünglichkeit" auszeichnet. Immerhin unterstellte man ja schon zeitlebens Ali Farka Touré und seinen in der Wüste produzierten Platten, dass es sich hierbei um das Original jenes Blues handeln würde, der vor etlichen Jahren von der Küste Westafrikas mit seinen verschleppten Sklaven nach Nordamerika gelangt sei. Dort habe er fortan die Geschichte der populären Kultur weltweit entscheidend geprägt. Punkt.

Eine im Westen geborene kulturgeschichtliche Fixidee, die sich, an US-amerikanischen Blues-Synkopen klammernd und Größen wie John Lee Hooker im Mund führend, seit Jahrzehnten daran aufrichtet, dass es trotz Einführung elektronischer und bis in die Wüsten von Mali reichender Medien noch immer so etwas Ähnliches wie unbeeinflusst von "außen" gedeihende ursprüngliche, reine "Authentizität" geben könne - von der man als dekadenter und kulturell entfremdeter Westler profitieren könnte.

Dabei hört man den kraftvoll in der afrikanischen Polyrhythmik verhafteten, hypnotisch fließenden Songs von Tinariwen und ihrer Kombination aus traditioneller Perkussion und Call- und Response-Chören mit elektrisch kreischenden und akustisch schrammelnden (Western-)Gitarren jederzeit an, dass hier tatsächlich auch, wie bei so gut wie jedem jungen Menschen dieser Welt, internationale, um nicht zu sagen, globale Ästhetiken längst einen selbstverständlichen Einzug in jeweils lokale Volksmusiken gehalten haben.

Das Album Aman Iman jedenfalls verbindet auf Einakkordbasis durchaus mehr bei Keith Richards festzumachende Gitarrenriffs westlicher Prägung mit dem rhythmisch ungleich reicheren musikalischen Reservoir Nordwestafrikas. Und dass der Bandleader in seiner Jugend nicht nur nordafrikanische Popstars wie Rabah Driassa als Einflüsse angibt, sondern auch im Westen belächelte Figuren wie die Discokönige Boney M. oder Country-Schnulzenvater Kenny Rodgers verehrt, sollte schließlich auf eines hinweisen: Es ist nicht immer alles so, wie man es sich kulturbeflissen gerne vorstellen möchte.

Das Echte geht auf Wanderschaft. Es entdeckt dort das Falsche. Heraus kommt ein wunderbar schillernder, faszinierend fremd wie vertraut klingender Bastard. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Printausgabe, 06.03.2007)