Ein junger Wallenstein als moderner Zauderer: Stefan Schießleder

Foto: Rolf Arnold

Eine biedere Klassikeraufführung als aufwändige Stadterkundungstour.


Zu "Wallensteins Lager" kommt man erst um Mitternacht: eine laute Disco auf einem Podest im See, im Rücken das ziemlich gruselige Leipziger Völkerschlachtdenkmal.

In Knittelreimen skandiert man dort, kippt einen modernen Prediger ins Wasser und feiert ausgelassen den "Fried-Ländler", Wallenstein also, ohne zu wissen, dass die meisten Generäle schon längst von ihm abgefallen und er selbst eine Stunde zuvor im Schauspielhaus ermordet worden ist: Krieg wird als Lebenszustand die Ehre erwiesen; Schillers Vorspiel wird als Endspiel gegeben.

"Einen Feldzug durch Leipzig" hat Intendant Wolfgang Engel sein monumentales "Wallenstein"-Projekt genannt und die drei Teile von Schiller Drama auf drei Schauplätze in der Stadt verteilt. Begonnen wird mit den "Piccolomini" in der Baumwollspinnerei Leipzig-Plagwitz, einst eine der größten europäischen Fabrikstädte.

Haudegen hinter Säcken

In einer zugigen Etage debattieren hinter Sandsäcken die Militärs über die unzumutbaren Vorschläge des Wiener Kaiserhauses und bereiten den tragischen Konflikt des zögerlichen Helden vor, der dann auf der Bühne des Leipziger Schauspielhauses, eines stalinistischen, frisch renovierten Baus, der genau vor 50 Jahren ebenfalls mit Wallenstein eröffnet wurde, exekutiert wird.

Doch der große strategisch- logistische Aufwand dieses Unternehmens, etwa um das Publikum mit Bussen durch Leipzig zu lotsen und zu verköstigen, korrespondiert mit einer braven, ja geradezu konventionellen Spielweise: oft lebendig und nicht unsympathisch, in einfachen, meist zeitgenössischen Kostümen. Da unterdrückt theatralisch Gräfin Terzky ihre Tränen, da barmt Thekla zum Herzergreifen um ihr Los, wissen sich Vater und Sohn viel sagend anzuschweigen, donnern die "braven Pappenheimer" mit ihren Schwertern an den eisernen Vorhang und intrigiert aalglatt von Questenberg als Mann, der Amt und Person geschieden wissen will. Schiller wie im Reclamheft.

Wäre da nicht Stefan Schießleder als Wallenstein, 33 Jahre alt, der sich wohl damit in die vorderste Reihe seiner Zunft gespielt haben dürfte (ein Wallenstein zwischen dem jungen Gert Voss und Michael Maertens), zynisch, mit Dreitagebart, ein intellektueller Einzelkämpfer, bisweilen in leicht bayerischer Färbung. Sicherlich ist dieser "junge" Wallenstein gegenüber seiner Tochter Thekla eher Konkurrent des Liebhabers als Vater. Vom Alter her würde sich auch der oft naheliegende Vergleich mit Stoiber, dem bayerischen Ministerpräsidenten und Machtmenschen, der gerade wie Wallenstein in völliger Verblendung auf seine drohende Demontage nicht zu reagieren weiß, verbieten - aber die erstaunliche Modernität von Schillers Figur wird durch Schießleder sofort deutlich, sie muss nicht durch Regiekonzepte erwiesen werden.

Wolfgang Engel ging es denn wohl auch vor allem darum, das Schauspiel, das die Stadtväter sogar schon einmal schließen wollten, fest im Bewusstsein der Stadt zu verankern, und das ist ihm geglückt: ein aufwändiges Casting unter der Bevölkerung für "Wallensteins Lager", eine eigene Vorabend-Soap des MDR mit Theatergeschichten - und schon müssen Zusatzvorstellungen angesetzt werden. Die Weimarer Klassik sorgt für glänzende Augen.

Am ungewöhnlichsten aber ist die Silvestervorstellung: Sie wird am 31. 12. 2007 um 20 Uhr beginnen und mit einem Neujahrsfrühstück am Völkerschlachtdenkmal am 1. Jänner 2008 um sechs Uhr früh enden. (Bernhard Doppler aus Leipzig / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5.3.2007)