Lilian Faschinger, "Stadt der Verlierer", Roman. € 20,40/ 316 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 2007.

Tipp
Lilian Faschinger präsentiert den besprochenen Band am Donnerstag, 8. März, 19.30 Uhr im Musil-Haus in Klagenfurt und am Freitag, 9. März, 19 Uhr, in der Alten Schmiede in Wien.

Buchcover: Carl Hanser
Wien im "heißesten Sommer seit fünfhundert Jahren". Kein Wunder, dass sich Matthias Karner nicht gerne in seinem überhitzten Zimmer unter dem Dach aufhält, sondern lieber in den Wohnungen von Frauen, die ihn finanziell aushalten. Doch diesmal verlässt nicht er eine Frau, sondern Trixi wirft mitten in der Nacht seine Gitarre und seine Klamotten aus dem Fenster, und so bleibt ihm nur der Abgang. Er landet am Morgen im Lainzer Tiergarten, wo er mit Springsteen träumt: "It's a town full of losers / And I'm pulling out of here to win." Wenig später entdeckt er im Wald eine schöne, leblose Frau.

Der wenig sympathische Held, der sich gleich auf den ersten Seiten als menschen- und vor allem frauenverachtend entpuppt, trägt zwar dazu bei, dass Vera Suttners Selbstmord nicht gelingt, aber dennoch gibt es kein Happyend. Vera, "die Wahrhaftige", wird ihren Retter aufsuchen und ein Verhältnis mit ihm beginnen, ansonsten aber ihrem Vornamen nicht gerade Ehre machen und sich als perfekte Lügnerin erweisen, bis sie zum Mordopfer wird.

Lilian Faschinger hat mit ihrer knapp dreißigjährigen Hauptfigur kein Mitleid, sondern lässt sie in den in Ichform erzählten Kapiteln sich selbst entblößen. Dabei hat Matthias eine wirklich schwierige Kindheit als Adoptivkind bei herzlosen Eltern in Kärnten hinter sich. Sein einziger Lichtblick war die innige und bald auch sexuelle Liebesbeziehung zu seiner nicht leiblichen Schwester Silvia. Schon bald verlässt er das Elternhaus und treibt sich als Flaneur mit Gelegenheitsjobs und Verführer durch Wien, von der Frage getrieben: "Was macht man mit einer Frau, wenn man sie nicht gerade fickt?"

Abwechselnd zu diesen Kapiteln entwickelt Faschinger in ihrem tragikomischen Kriminalroman Stadt der Verlierer die Geschichte der 44-jährigen Privatdetektivin Dr. Emma Novak, die zur Enthüllung des Kriminalfalls beiträgt. Sie promovierte mit einer Arbeit über Seherinnen im alten Byzanz, doch nach einigen Jahren fanden die Lehrveranstaltungen der feministischen Altertumswissenschafterin zu wenige Hörer. Gemeinsam mit dem gescheiterten Friseur und Allergiker Mick Hammerl eröffnet sie im ehemaligen Salon ein Detektivbüro.

Als sich Greta Mautner mit einem Auftrag an das Büro wendet, beginnen sich die Geschichten auf spannende Weise zu verknüpfen. Denn Frau Mautner sucht ihren Sohn Matthias Karner, den sie nach der Geburt zur Adoption freigegeben hat. Der Auftrag kann schnell erledigt werden, und Mutter und Sohn treffen einander. Doch als dieser erfährt, dass es einen Zwillingsbruder gibt, der bei der Mutter aufgewachsen und als Architekt erfolgreich ist, in seinem Grinzinger Haus Cello spielt und mit einer ihm nicht unbekannten Frau verheiratet ist, steigert sich sein Hass - aber nicht gegen den Bruder, sondern gegen alle Frauen, die für ihn Huren sind: "Ein Kaleidoskop. Ein Gesicht für alle Frauen. Das Gesicht meiner Mutter."

Matthias besteht auf seiner Rolle als Misanthrop, schließlich war er schon bei der Geburt der Zweite, hält deshalb sein Schicksal für biologisch besiegelt und vertieft sich weiterhin in seine einzige Lektüre, die Biografien von berühmten und mächtigen Männern. Lilian Faschinger denunziert lustvoll die männlichen Helden, so Emmas demenzkranken Vater, der gerne ein Kriegsheld gewesen wäre, ihren Sohn Philipp und ihren Kompagnon Mick Hammerl, der seine Heldenhaftigkeit bei vergeblichen Diätkuren und der Eroberung seiner Freundin Asli, einer Designerin türkischer Herkunft, erprobt. Aber auch die Frauen, die auf Männer wie Matthias oder andere Erlösungsfantasien hereinfallen, werden nicht verschont, wie Emmas Mutter, die als Reinkarnationstherapeutin arbeitet, die zahlreichen Geliebten von Matthias und die lesbische Gerichtsmedizinerin Sissi Fux.

Lilian Faschinger ist eine lakonische Chronistin von zumeist gescheiterten Großstadtexistenzen, erzählt von deren Lebenslügen und Lebensspielen, die bisweilen ins Grotesk-Makabre kippen. Sie montiert äußert gekonnt Versatzstücke und Klischees aus verschiedenen kulturellen Bereichen zu einer Collage, von der zeitgeistigen Liebe zur japanischen Einfachheit der Upper Class bis zur Kochkunst der Feministinnen. Bisweilen möchte man die überbordende Fabulierlust Lilian Faschingers stoppen und denkt sich too much (Wolf Haas), bis man wieder begeistert ist von ihrer subtilen Ironie und raffinierten Erzählkunst.

Wie schon in ihren früheren Büchern, etwa ihrem Schelmenroman Magdalena Sünderin (1995) oder ihrem virtuos erzählten Roman Wiener Passion (1999), verwebt Lilian Faschinger E und U, Triviales und Intellektuelles, knüpft an alte Mythen ebenso an wie an romantische Motive - etwa den Doppelgänger - und vermischt sie mit den gegenwärtigen Mythen des Alltags. Lilian Faschinger interessieren psychologische Erklärungsmuster nur als Stoff zur Demontage. Im Unterschied zu ihren Mörderinnen überführt sie Matthias Karner aber als Mann, der die Frauen hasst. Doch im Reigen der Beziehungen sind im Roman Stadt der Verlierer nicht nur Tote zu beklagen, sondern auch neue Paare wie Mick und Asli, Emma und Sissi zu beglückwünschen. (Christa Gürtler/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 03./04.03.2007)