DBC Pierre: "Bunny und Blair"
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. € 21,50/396 Seiten. Aufbau-Verlag, Berlin 2007.

Buchcover: Aufbau-Verlag
Um die Zukunft scheint es schlecht bestellt. Als Sinnbild des alten Europa wird Großbritannien vom globalen Terrorismus bedroht. Ehemalige demokratische Solidargemeinschaften wurden zu egoistischen und asozialen Ich-AGs atomisiert. Der postsowjetische Kaukasus droht in Bürger- und Kleinkriegen und dem damit verbundenen Chaos unterzugehen. Vom ewigen Krisenherd des Nahen Ostens als geopolitische Herausforderung ganz zu schweigen.

Es ist eine hässliche und uns bereits sehr nahe und zumindest medial vertraute Welt, in die uns der britische Autor und Booker-Prize-Träger Peter Warren Finlay alias DBC Pierre drei Jahre nach seinem fulminanten Debüt Jesus von Texas in seinem neuen Roman Bunny und Blair entführt. Bezüglich drastischer Komik und geschmackloser Grotesken schien schon seine im ländlichen US-amerikanischen White-Trash-Milieu spielende Satire auf eine sensationsgeile, bigotte und korrupte Mediengesellschaft kaum noch überbietbar. Immerhin schickte DBC Pierre darin seinen Protagonisten Vernon Little als fälschlich für einen jugendlichen Schulhof-Amokläufer gehaltenen Negativhelden durch ein Fegefeuer der Blöd- und Verkommenheit, an dessen Ende der elektrische Stuhl stand, der von einem Millionenpublikum live daheim vor den TV-Geräten per Voting in Betrieb gesetzt werden konnte - oder eben dann doch nicht. Bittedanke!

Dass Peter Warren Finlays 750.000-mal verkaufter Welterfolg auch über seine eigene, nicht minder bizarre Biografie punkten konnte, sei als wichtiges Detail vermerkt. Immerhin begann seine schriftstellerische Karriere, während er sich als ehemaliger Junkie, Drogenhändler, Erbschleicher und Berufsspieler in Irland vor Gläubigern und ehemaligen "Geschäftspartnern" versteckt hielt. Nach diversen Betrügereien in Spanien und Mexiko musste er untertauchen und veröffentlichte Jesus von Texas unter dem Pseudonym DBC Pierre, um vor etwaigen "Zahltagen" geschützt zu sein. Mit dem Erlös des Debüts und dem Geld des Booker-Preises hat Finlay heute seine Schulden getilgt und kann sich wieder angstfrei bewegen. Er packt seine Paranoia und Angstzustände lieber in rein literarische Welten.

Bunny und Blair zerfällt als Roman in mindestens zwei große erzählerische Teile. Der Roman beginnt im Kaukasus am Rande des eines Borat würdigen Dorfes Ublilsk, wo die junge Bauerstochter Ludmilla Iwanowna während eines entfernt donnernden Mörserfeuers aus dem ethnischen Kleinkrieg unserer Wahl gerade von ihrem Großvater vergewaltigt wird. Dabei kommt Opa unter absichtlicher Mithilfe seiner Enkelin verdientermaßen zu Tode, was ein bisschen blöd ist, weil mit seinem Tod auch seine Rente als einzige regelmäßige Einnahmequelle der Großfamilie wegfällt. Um ihre Familie zu ernähren, muss sich Ludmilla in die große weite Welt außerhalb ihrer jämmerlichen Heimat aufmachen. Die Dinge verändern sich in Folge vom Schlechten zum Katastrophalen. Dabei spielt eine betrügerische, von "bisiness-men" geleitete Heiratsvermittlungsfirma im Internet eine entscheidende Rolle.

Hier kommt dann schließlich Großbritannien ins Spiel. Blair und Gordon-Marie (alias Bunny) Heath sitzen als frisch getrennte siamesische Zwillinge, die ihre ersten drei Lebensjahrzehnte in einem beschaulichen nordenglischen Heim namens, Achtung!, "Albion" verbracht haben, in einer Londoner Souterrain-Wohnung. Sie geben, nur schlecht getarnt, eine Entsprechung von Regierungschef Tony Blair und seinem innerparteilichen Konkurrenten bei Labour, Schatzkanzler Gordon Brown. Geschwisterliche Gehässigkeit, Alkohol und Drogen bestimmen ihre frisch erlangte "Freiheit" voneinander. Wobei der körperlich stärkere Blair sich in unschönen und von derbster Sprache gekennzeichneten Streitereien und Hänseleien mit dem intelligenteren, aber kränklichen Bunny misst und mit einem sexuell Richtung Nachholbedarf gekennzeichneten Appetit ausgestattet ist.

Ein britischer Kritiker bezeichnete diese brutal-komischen Sequenzen passend als "New Labour auf Koks". Gerade auch, weil hier eine zynische Welt zwischen Privatisierung des Gesundheits- und Sozialwesens, Internetgeschäften und neugedeutetem Manchesterkapitalismus beschrieben wird, die man selbst besser nicht kennen(lernen) möchte.

Beim Surfen im Internet entdeckt Blair jedenfalls das Foto von Ludmilla auf der Homepage der dubiosen Heiratsagentur und verliebt sich in seinem "Junggesellenwahnsinn" unsterblich in sie. Die beiden zankenden und sich die Krätze an den Hals wünschenden Brüder machen sich auf Richtung Osten, um die Frau aus dem Laptop zu finden. Die Engführung der beiden Handlungsstränge stellt man sich dann am besten als das Aufeinanderprallen einer veritablen Kalt- mit einer prächtigen Warmwetterfront vor. Irgendwann kracht es gewaltig. Bis es so

weit ist, entwirft DBC Pierre eine der bösartigsten und unterhaltsamsten Geschichten, die je zum Thema wilder Osten und müder Westen erzählt wurden. Er tappt in so gut wie jeden Fettnapf im Zusammenhang mit politischer oder auch nur menschlicher Korrektheit, wirft alle Scham und jeden Genierer über Bord. Und der Autor hält den Roman auf einem manchmal durchaus auch auf die Nerven und an die Nieren gehenden Betriebstempo.

Übersetzt wurde dieses wüste, wilde, ungestüme und unversöhnliche Werk, wie sagt man so schön, kongenial im Deutschen wildernd vom Schriftsteller Henning Ahrens. Der übertrug neben dem Verfassen eigener Romane wie Lauf Jäger lauf! und Langsamer Walzer auch schon Jonathan Safran Foer, Colson Whitehead oder Hugo Hamilton. Guter Mann! (Christian Schachinger/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 03./04.03.2007)