Mercedes Medina ist 59 – und verliebt sich heftig in die 29-jährige Blumenverkäuferin Lennie. Kann das gut gehen? Mrs. Medina ist nicht nur viel älter als Lennie, sondern außerdem die gutsituierte, kultivierte Ehefrau des einst berühmten Cellisten Patrick, der wiederum 25 Jahre älter ist als sie und seinem Lebensende entgegensieht. Er wird von seiner Frau so bedingungslos loyal gepflegt und versorgt, wie sie früher seine Karriere unterstützte. Eine typische Ehefrau alten Stils also.

Ja, es geht gut. Nach anfänglicher Schüchternheit lässt sich Mercedes Medina auf eine leidenschaftliche Affäre mit Lennie ein, der Blumenverkäuferin, die davon träumt, einen Zen-Garten anzulegen und nie auf die Idee kommt, sich über Mrs Medinas Ehe zu beschweren. Denn Lennie selbst lässt sich weder zähmen noch einfangen. "Sie war leidenschaftlich, aber gleichgültig", erkennt Mrs Medina später. Sie selbst ist alles andere als gleichgültig. Lennie repräsentiert für sie das ganz Andere, das sie fasziniert und das sie begehrt, das ihr neue emotionale und erotische Möglichkeiten eröffnet und ihr doch immer fremd bleibt. In einer Umkehr der kulturellen Muster (My Fair Lady, Pygmalion) wird sie, die Ältere, Gebildete, Wohlhabende, durch das einfache "Blumenmädchen" in ein neues Leben eingeführt, ohne doch ihr altes Leben aufzugeben.

Ihr Mann gibt sich großzügig: Sein Leben lang habe er sie betrogen, nun dürfe sie auch mal. Eifersucht bricht sich dennoch immer wieder Bahn, und das ist zuweilen sehr komisch geschildert – so wenn er mit einem alten Degen scheinbar zum Spaß auf Lennie losgeht. Mit Charme, Zynismus und Egoismus verteidigt er das, was vermeintlich ihm gehört. Mercedes Medina erlaubt sich in ihrer Reserviertheit selten offene Ungeduld, aber zuweilen fällt ihr die Gratwanderung schwer – ohne dass sie je daran dächte, ihm die Loyalität aufzukündigen.

Verlust

Eines Tages ist Lennie verschwunden. Einige Zeit später stirbt Patrick. Mrs. Medina erleidet nach dem Verlust beider Menschen, die sie geliebt hat, einen Zusammenbruch, aus dem sie nur langsam wieder herausfindet, ohne recht zu wissen, wohin ihr Leben fortan gehen kann. Der Roman beginnt mit ihrem Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik, von da aus entfaltet sich die Handlung rückblickend. Er endet in der Karibik, wo sie sich erholt – und wo sie Lennie wiedersieht. Lennie, die Blumenverkäuferin mit Zen-Ambitionen, war in Drogengeschichten verwickelt und musste ein Zeitlang untertauchen. Jetzt braucht sie Hilfe. Und Mrs. Medina erkennt, dass sie Lennie immer noch liebt, aber ganz anders als früher: "Es bricht mir das Herz, sie so verletzlich zu sehen. Sie spürte, wie die Nächte voller Angst und Verlangen verblassten." Es ist völlig klar, dass sie Lennie hilft – und ebenso klar, dass Lennie auf ihre eigenen Füße fallen muss. Mercedes Medina bricht auf in ihr Leben, und niemand weiß, wer dieses Leben teilen wird.

Im Mittelpunkt

Der Roman ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Schön, dass hier endlich einmal eine ältere Frau im Mittelpunkt steht, und zwar eine ältere Frau, die manchmal ihr Leben schon am Ende wähnt und dann merkt, dass es tatsächlich neu beginnen kann und alles wieder offen ist. Schön, dass eine Beziehung zwischen zwei altersmäßig, sozial und bildungsmäßig so verschiedenen Frauen thematisiert wird. Wie gut, dass diese Affäre nicht in ein klischeehaftes Happy End mündet à la "und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich zusammen" – das wäre unglaubwürdig und wenig interessant.

Mercedes Medina krempelt zwar ihr Leben um, aber sie tut das für sich allein und nicht ohne Schmerzen. Der Roman erlaubt sich zum Glück, manches offen zu lassen, er diskutiert nicht alles aus und macht sich nicht zum Sprachrohr für irgendwelche politisch korrekten oder inkorrekten Positionen. Die Protagonistin ist weder plötzlich frauenbewegt noch immer sympathisch, und das macht sie so lebensecht und plastisch, wie die anderen Figuren es auch sind.

Entfaltung

Der Roman ist wunderbar geschrieben und von Andrea Krug ausgezeichnet übersetzt worden. Dezenz und zuweilen sanfte Ironie zeichnen ihn aus, die Figuren entfalten sich in lebendigen Dialogen, in Beobachtungen, Handlungen und Reflexionen, ergänzt von bildhaften, zuweilen poetischen Beschreibungen und Augenblicksaufnahmen. Der Roman hat einen unverwechselbar eigenen eleganten Stil. Zuweilen glaubt man ein schwaches Echo von Virginia Woolfs Mrs. Dalloway zu vernehmen, und einzelne poetische Lakonismen erinnern entfernt an den Erzählgestus von Jeannette Winterson. Äußerlich unspektakulär und spannend zugleich, entwickelt der Roman einen starken Sog – unbedingt lesen!
(Gastautorin Gertrud Lehnert)