Am vergangenen Donnerstag

präsentierte der Netzwerkhersteller Cisco vor einer handvoll deutschsprachiger Journalisten im trauten Eschborn, nähe Frankfurt, seine neueste Kommunikationslösung "TelePresence". Der WebStandard nützte die Gelegenheit sich das in Industrie-Kreisen viel diskutierte System genauer anzusehen.

zsolt wilhelm

Eigenentwicklung

Bei den TelePresence-Systemen "1000" und "3000" (drei Bildschirme) handelt es sich um Kommunikationslösungen, die Sprache, Bild und Daten miteinander vereinen. Über zwei Jahre hat der Konzern laut Europa-Vizepräsident Michael Ganser (rechts im Bild) in die Entwicklung gesteckt und so sukzessive die hohen Anforderungen an derartige Netzwerkeinrichtungen reduziert. Das Projekt entstand komplett in Eigenregie, 25 Technologie-Patente wurden eingereicht.

Tele-Präsenz

Im Gespräch mit dem WebStandard gab sich Ganser überaus zuversichtlich und sah sich angesichts der Schwierigkeiten des Konkurrenten Alcatel/Lucent in der eigenen Unternehmens-Strategie bestätigt, vor fünf Jahren bereits auf Konvergenz gesetzt zu haben. Speziell Video, glaubt man, würde künftig stark an Bedeutung gewinnen. Herkömmliche Telekommunikation sei weniger effizient, schlicht aus dem Grund, dass 64 Prozent der Kommunikation "non-verbal" abläuft und erst die visuelle Präsenz, gerade bei Konferenzen dazu führe, aufmerksam zu bleiben.

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Möbel und mehr

Neben der Hardware, wie den 65" Plasma-Bildschirmen und der dreiäugigen Kamera, die zusammen für eine hochaufgelöste Erfassung in Full-HD sorgen (1920 x 1080 Vollbilder / 30 Bilder pro Sekunde), umfasst das Produktpaket "TelePresence 3000" auch den speziell konzipierten Tisch und die räumliche Gestaltung. Eine spezielle Lackierung des Holzes soll Spiegelungen vermeiden, eine ausgewählte Palette an Wandfarben und die adequate Hintergrundbeleuchtung sorgen für ein situationsgerechtes, stimmiges Bild, so die Pressemappe.

Tatsächlich wirkt die Konstruktion gut durchdacht und einladend für kommunikative Stunden, gerade bei der Ausleuchtung dürfte viel an der Feinabstimmung gedreht worden sein.

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Hinter den Kulissen

Hinter der prominenten Videowand kommt zumindest ein kleiner Teil der Technik zum Vorschein. Je ein Rechner pro Bildschirm bedient die Anwender mit den digitalen Signalen, die über das Internet gesendet werden. Der 1080p-Stream konnte, dank einer auf h.264-Kodierung basierenden Komprimierung, von 1,5 Gbit auf 4 Mbit je Schirm reduziert werden.

Breitband

Demnach wird für das System 3000, rechnet man den Puffer für Daten- und Audio-Transfer hinzu, eine 12- bis 15-Mbit-Anbindung für den Up- und Down-Stream verlangt. Im Schnitt liegt die Auslastung jedoch weit unter den Maximalanforderungen, bei etwa 9-Mbit. Optional kann die Auflösung auch auf 720p verringert werden, um Überlastungen vorzubeugen. Cisco selbst hat mit der Einführung von TelePresence Ende des letzten Jahres seine Netzwerkleistung prophylaktisch verdreifachen müssen.

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Telefon

Mit der Hardware, die mit 299.000 US-Dollar bzw. 79.000 US-Dollar für das Ein-Schirm-System zu Buche schlägt, und der schnellen Netzwerkanbindung ist die Liste der notwendigen Anschaffungen allerdings noch nicht am Ende angelangt. Zusätzlich wird noch die Sofware "Cisco Unified CallManager Version 5.1" für die Verwaltung der komplett proprietären Lösung benötigt. Die Anbindung geschieht via SIP an den CallManager. Mit Hilfe eines "Cisco Unified IP-Telefons" können so Gesprächspartner per Knopfdruck, wie bei einem gewöhnlichen Telefonat, angewählt werden. Die Synchronisation der einzelnen Kanäle (Video, Audio, Daten) erfolgt durch die Zusammenfuhr auf einen RTP-Kanal.

Klimaanlage

Die Implementierung und Wartung sowie die laufenden Kosten für das Netzwerk und die Infrastruktur müssen ebenfalls noch einberechnet werden. Beispielsweise muss der Raum konstant klimatisiert sein, da allein die Plasma-Screens reichlich Abwärme produzieren.

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"Wie im selben Raum",

sollen die Damen und Herren von Gegenüber einem erscheinen. Beim Telefonat, pardon Videofonat, mit Cisco-Vizepräsident Marthin De Beer und seinen Kollegen aus San Jose, USA, machte sich dieses Gefühl zumindest beim WebStandard-Redakteur erst nach einigen Minuten breit.

Die Personen werden ruhig und lebensecht abgebildet und die geringe Reaktionszeit lässt die gedanklichen Bilder von "ZiB 2-Gesprächen" zwischen Moderator und Auslandskorrespondent wie eine Dia-Show erscheinen, dennoch braucht es seine Zeit, bis das Auge die Zweidimensionaltät überwunden hat. Die hohe Auflösung lässt Details erkennen, zerzaust sollte man bestimmt nicht zum Gespräch erscheinen. Die Farben wirkten etwas matt, was wohl auch auf eine nicht ganz saubere Bildschirm-Kalibrierung zurückzuführen ist. (Die für Sie ersichtlichen Bildschirm-Interferenzen und farblichen Entgleisungen kamen durch die Aufnahme zustande und waren Live nicht zu sehen!)

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Wohin guckst du?

Ein Zweiter Faktor, weshalb die propagierte Unmittelbarkeit nicht so rasch aufkommen wollte, war die Positionierung der Kameras. Während die mittig angesiedelten Personen stets den passenden Gesprächspartnern in die Augen sahen, verloren sich die Blicke der äußeren Kompagnons meist im seitlichen Nirwana. Eleganter wäre es gewesen, die Kameras in die einzelnen Screens zu integrieren. Vielleicht kommt das ja noch.

Laut gesprochen

Reibungslos klappte hingegen der akustische Austausch. An jeder Position ist ein Mikrofon angebracht, die Lautsprecher geben die Platzierung der Kommunikatoren exakt wider.

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Mute

Das System schafft es, wie versprochen, die Aufmerksamkeit konstant hoch zu halten. Einzelheiten, die sonst nur in Face-to-Face-Situationen zum Vorschein kommen, spielen somit auch erstmals in der Telekommunikation eine Rolle. Wem das Geschwätz dann doch etwas zu öffentlich ist, der kann per Tastendruck sowohl die Bild- als auch die Ton-Übertragung temporär unterbrechen.

Nicht gesehen

Bei der Präsentation nicht demonstriert wurde die Kollaboration von Daten. Das System soll von Haus aus mit dem Internet Explorer (ab 6.0) und Outlook zusammenarbeiten. Mit dem mitgelieferten TelePresence-Manager steht auch eine Helpdesk-Funktionalität bereit, Bildschirmpräsentationen sollen ebenfalls möglich sein.

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Global-Player

Die angepeilte Zielgruppe siedelt Cisco naturgemäß zunächst in größeren Konzernen an. Laut Michael Ganser reagieren vor allem Business-Entscheider und Vertreter der Management-Ebene positiv auf die Technologie. Man schätzt etwa 10 Prozent der jährlich getätigten Geschäftsreisen und Flüge eines Unternehmens mit TP einsparen zu können. Somit würden sich die hohen Anschaffungskosten je nach Größe des Unternehmens rasch rentieren.

Business-Modell

Vorerst plant Cisco über 100 Räume innerhalb dieses Jahres mit dem System auszustatten. Der Elektronik-Händler Mediamarkt habe angeblich bereits sein Interesse bekundet. Die Bereiche Finanzen und Medizin seinen wenigstens kurzfristig das Haupteinsatzfeld - Siemens könnte hier als Partner fungieren. Später glaubt man das Geschäftsmodell wesentlich weiter schnüren zu können. Denkbar wäre beispielsweise, dass sich Infrastruktur-Einrichter und Immobilien-Besitzer der Technologie bedienen, um eigene Geschäftsmodelle damit zu ergründen. Hotels könnten so zum Sammelpunkt für Video-Konferenzen werden. Sogar den Einzug ins Private habe man bereits angedacht.

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Kein Ende in Sicht

Die Entwicklung steht laut De Beer auf alle Fälle nicht still. Wichtig für die Akzeptanz dieser Produkte sei nicht nur die technische Stärke, sondern auch das "Easy-to-use"-Prinzip. Gespannt darf man sein, wie die Fluglinien auf die Etablierung der Technologie reagieren werden. Langfristig könnten so enorme Einbußen entstehen.

Scotty

Für Sci-Fi-Fans hielt Ganser jedenfalls auch noch eine nette Ankündigung parat. In den Labors von San Jose arbeite man bereits an Lösungen mit Hologrammen. Prototypen seien schon entstanden. Die Marktreife wird in etwa 10 bis 15 Jahren erlangt werden, der nächste Schritt wäre dann nur noch Beamen, so Ganser.

Stolpersteine

So euphorisch sich Cisco auch gibt, den einen oder anderen Stolperstein gilt es allerdings doch zu überwinden. Zum einen ist TelePresence komplett proprietär und verlangt eine Cisco-kompatible Umgebung und zum anderen ist die Lösung enorm von der Leistungsstärke lokaler ISPs abhängig - das interne Netzwerk wird so und so aufgerüstet werden müssen. Cisco selbst rechnet weltweit, auch aufgrund von Video und neuen Internetdiensten, mit einer zusätzlichen Netzwerkbelastung von 200 Prozent in den nächsten 18 bis 24 Monaten. Gut für Netzwerhersteller - vielleicht kann ja auch Alcatel/Lucent davon profitieren, den Arbeitnehmern wäre es zu wünschen... (Zsolt Wilhelm aus Frankfurt)

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