Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war gestern. Da hat P. dann ein zufriedenes Mail geschickt. Weil, wie sie schreibt, es eben doch Augenblicke gibt, in denen man dann spürt, dass die Welt ein bisserl weniger grob und gefühllos ist, als es oft den Anschein haben mag. Und weil, setzt P. fort, es manchmal einfach schön sei, zu erkennen, dass andere Leute genauso reagieren, wie man selbst – und zwar ohne dass es jemand bemerkt.

Deshalb, meint P., sei sie auch gar nicht böse oder enttäuscht gewesen, als sie sah, dass die Augustinverkäuferin aus der U3-Station H. am nächsten Morgen wieder zwei Handschuhe hatte: Es gäbe eben Dinge, die wichtiger seien als das Copyright fürs Gutsein.

Handschuhdiebin

P. hat nämlich Handschuhe verschenkt. Weil sie, wie in der letzten Stadtgeschichte beschrieben, mitbekommen hatte, wie irgendeine Passantin der freundlichen, fröhlichen und singenden Augustinverkäuferin in ihrem U-Bahn-Aufgang im Vorbeigehen einen Handschuh von der Hand gezogen hatte. Und schneller verschwunden war, als irgendjemand die reichlich bizarre Tat überreissen hatte können. Eben weil sie dermaßen sinnlos-gemein war, dass zunächst nicht einmal das Opfer glauben wollte, dass da gerade passiert war, was passiert war.

Und auch wenn so ein Handschuh eigentlich keinen relevanten Sachwert darstellt, war seine Entwendung in dem Fall Grund genug, P. den Tag zu verderben und ihren Glauben an das Restgute im Menschen zu erschüttern: Jemanden zu zwingen ohne Handschuh im Winter einen Stapel Zeitungen zu halten, meint P., sei einfach bösartig. Und noch eine Spur fieser, als es das Bestehlen von Obdachlosen, Wehrlosen oder anderen Unterprivilegierten an sich schon sei.

Das Sackerl

Deshalb, schrieb sie, habe sie schon am Abend, als sie heimgekommen sei ein Sackerl an die Tütklinke gehängt. Mit ein paar alten, aber intakten Handschuh-Paaren und – für wirklich kalte Tage – einem Paar fett gepolsterter Ski-Fäustlinge drin. Und damit das Sackerl ein bisserl voller aussah, erzählt P., seien im Lauf des Abend noch zwei Schals, eine Mütze und ein paar Tafeln Schokolade hineingerutscht. Fast ganz von selbst, feixt P.

Am nächsten Morgen sei sie dann aus dem Strom der Passanten ausgeschert und habe der fröhlich, so als wäre nie etwas geschehen, grüßenden Frau das Sackerl und ein paar Geldscheine überreichen wollen. Aber die Augustin-Gospel-Dame, sagt P., habe nur gelacht und auf ein paar Plastikbeutel neben ihrer Tasche gezeigt: Andere Passanten hatten wohl die gleiche Idee gehabt.

Trotzdem, schreibt P., habe sie ihr Sackerl dazu gestellt. Und das Geld vorher unauffällig hineingesteckt. Danach, sagt P., sei sie ins Büro gegangen. Und habe sich, schreibt P., fast ein bisserl dafür geschämt, dass sie wegen dieser einen kleinen, doch wirklich banalen und für sie billigen und nicht weiter aufwändigen Sache dann einen ganzen Tag ziemlich glücklich und zufrieden war. Dieses Gefühl, schloss P., habe sie schon lange nicht mehr gehabt – aber die Vorstellung, es wieder öfter zu haben, sei keineswegs unangenehm. Ganz im Gegenteil.