Arcade Fire
Neon Bible
(Universal)
Ab 2. 3. im Handel

Foto: Universal
Allerdings ist das Septett doch entschieden älter und düsterer geworden.


Die kanadische Wunderband Arcade Fire zählt mit ihren stürmenden und drängenden Auftritten zu den intensivsten Konzerterfahrungen, denen man sich während der mindestens letzten zehn Jahre aussetzen konnte. Das raunen die Alten am Lagerfeuer spätestens seit 2005. Immerhin hinterließ die damals das Wiener Flex mit großen, beseelten und erschütternden Kampfliedern für eine bes- sere Welt plattmachende Heilsarmee im Kampf gegen Kälte und Zynismus mit diesem Gänsehaut machen- den Jahrhundertauftritt einen derart bleibenden Eindruck, dass dagegen jedwede Konkurrenz verblassen musste.

Neben den anderen großen Herzensbildnern der letzten zwei, drei Jahre, den britischen Progrock-Schlagerkönigen Flotation Toy Warning und ihrem Debüt Bluffer's Guide To The Flight Deck, zählt das Ende 2004 erschienene Arcade-Fire-Album Funeral zweifellos zu den wichtigsten Alben des neuen Jahrtausends. Hier wird vom Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne als ehemaligen Studenten der Religionswissenschaften mit ins Popformat gegossenen Erweckungspredigten jener Mut zu Utopien beschworen, der uns als smarten Bewohnern der Postmoderne und deren Folgen vermeintlich längst ausgetrieben worden war. Wie heißt es im programmatischen Klassiker Wake up so schön:

"Children wake up, hold your mistake up, before they turn the summer into dust! If the children don't grow up, our bodies get bigger but our hearts get torn up ... Sleeping is giving in, no matter what the time is!" Schöner ist im Zusammenhang mit einer mutlosen Gesellschaft, in der angeblich alles möglich, aber damit alles bedeutungslos geworden ist, auch noch nie der heute schmerzlich vermisste "Generationenkonflikt" gedeutet worden. Pop, so der herzensgute und bewusst naive Kraftakt der Bekämpfung eines Zynismus als Grundgestimmtheit, darf nicht mutlos machen. Er darf nicht rebellische Haltung als Klingelton und jeweils für Nischenmärkte ausdifferenziertes Konsumverhalten schmackhaft machen. Arcade Fire deuten Pop bewusst als Rausch, als Euphorie, als Mobilmachung der Herzen. Das ist ebenso altmodisch wie bitter nötig. Dazu wird als Stilmittel das Drama gewählt, aus dem man am Ende geläutert hervorgeht. Mit schepperndem Neuzeitrock, Folk- und Kirchenlied-Einsprengseln, großen Chören und orchestralem Sound - und jeder Menge fordernder "Heys!".

Die jetzt erscheinende neue Studioarbeit Neon Bible muss gegen die Strahlkraft von Funeral trotz des Widersinns in den Albentiteln ein wenig verblassen. Das unter anderem in einer aufgelassenen Kirche in Quebec aufgenommene und elf Songs beinhaltende Album ist düsterer ausgefallen und behandelt gleich im Eröffnungssong Black Mirror die dunklen Seiten des Hier und Heute reichlich illusionslos: "Mirror, mirror on the wall, show me where them bombs will fall." Mit Streichorchester und ächzender und stöhnender Kirchenorgel geht es dieses Mal tatsächlich hin zur dunklen Seite der Macht. So entpuppt sich im Antichrist Television Blues auch ein über das Leben nach 9/11 räsonierender und gottesfürchtiger Working Guy, den Win Butler trefflich als Bruce-Springsteen-Impersonator gibt, am Ende gar als der Gottseibeiuns. An anderer Stelle wird das gute alte Bild vom Körper als Gefängnis der Seele bemüht (My Body Is A Cage), in Intervention eine allerletzte Seelenmesse gelesen und in Black Wave das Missverhältnis von Erster und Dritter Welt angeprangert: "I'm eating in the ghetto on a hundred dollar plate." Im Song Ocean Of Noise und in Keep The Car Running tauchen dann doch noch jene optimistischen Töne auf, die man an der Band abseits des gängigen Happy-go-lucky so liebt.

Die Zeiten sind noch düsterer geworden. Auf die Überladung folgt jetzt die Entladung und die Traurigkeit. Aus der wird einst wieder Kraft geschöpft werden. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.2.2007)