Block 1 im Atomkraftwerk von Temelín ist derzeit abgeschaltet. Kein Notstopp, sondern eine regelmäßige Notwendigkeit, um alte Brennelemente auszutauschen, sagen die Betreiber und luden den Standard zum Lokalaugenschein in die Reaktorhalle - von Michael Simoner
Temelín - "Alle beieinander bleiben, nichts angreifen - und Kaugummi raus!" Hynek Dvorák klingt ein wenig nach Kindergartenonkel. Aber als Sicherheitsbeauftragter im Atomkraftwerk Temelín ist es eben auch im Umgang mit Erwachsenen am besten, einfache, unmissverständliche Anweisungen zu geben. Schließlich hat die Betreiberfirma CEZ zugestimmt, eine Hand voll Journalisten aus dem Atomkraft-kritischen Nachbarland Österreich bis in den Reaktorsaal vorzulassen.
Kein Notstopp sondern regelmäßige Notwendigkeit
Die Gelegenheit ist günstig, einer der beiden Reaktorblöcke ist gerade abgeschaltet, um Brennelemente auszutauschen. "Kein Notstopp, wie Atomkraftgegner behaupten, sondern eine regelmäßige Notwendigkeit", betont AKW-Sprecher Milan Nebesár. Was er einräumt, ist, dass "wir dazu länger brauchen als andere AKWs, weil wir noch nicht so viel Übung haben."
Strommenge, die Österreich in zwei Jahren importiert
Block 1 des südböhmischen Kraftwerks, rund 60 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt, ging im Jahr 2000 in Betrieb. Zwei Jahre später lieferte auch der zweite Druckwasserreaktor erstmals Strom ans Netz. Gesamtkosten: 98,6 Milliarden Kronen (rund drei Milliarden Euro). Derzeitige Leistung: zwölf Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Das entspricht dem Verbrauch von fast allen tschechischen Haushalten oder der Strommenge, die Österreich in zwei Jahren importiert.
Lager für ausgebrannte Brennelemente
Von den ursprünglich geplanten Blöcken 3 und 4 wurde nur ein unterirdisches Gangsystem realisiert. Zuletzt hat auch die neue Regierung der Tschechischen Republik entschieden, dass es keinen Ausbau geben wird. Dafür soll aber auf dem Gelände ein Lager für ausgebrannte Brennelemente entstehen.
Duschen ist Pflicht
Im riesigen Reaktorsaal ist es unerwartet leise, Block 1 ist offen, fünf Mitarbeiter in gelben Overalls überwachen den Kran, der die Brennstoffkassetten in das mehr als zehn Meter tiefe Reaktorbecken hinunterlässt. Es erinnert ein wenig an einen beleuchteten Swimmingpool, sogar das Wasser schimmert blau. "Die Ionenstrahlung erzeugt das blaue Licht", erklärt Nebesár und löst bei den Besuchern einen besorgten Blick auf den angesteckten Personen-Dosimeter aus. 0,0 zeigt das Display. Gemessen wird in Sievert, der Maßeinheit der Äquivalentdosis. Egal, Hauptsache nullkommanull. Auch die Messung in der Sicherheitsschleuse bestätigt, dass niemand kontaminiert ist. Was wäre, wenn doch? "Duschen. Wenn nötig, mehrmals", lautet die Antwort.
Duschen nach der Arbeit gehört für Mitarbeiter im Reaktorbereich überhaupt zum Pflichtprogramm. Gearbeitet wird im 8-Stunden-Schichtbetrieb, der Verdienst im AKW liegt mit umgerechnet 900 bis 1000 Euro pro Monat weit über dem tschechischen Durchschnittseinkommen von 750 Euro. Sicherheitsbedenken hat hier niemand.
Viele Störfälle
Was ist aber mit den vielen Störfällen, die seit Inbetriebnahme gemeldet wurden? "Technische Probleme sind nichts Ungewöhnliches", meint Nebesár, der seit 1989, also bereits seit der Planungsphase, in Temelín tätig ist. Aber es habe niemals einen für die Umwelt gefährlichen Zwischenfall gegeben, behauptet er und kritisiert auch die österreichische Informationspolitik. Jeder Zwischenfall werde umgehend nach Wien weitergeleitet. "Und dort anscheinend nicht nur an Experten, sondern auch an Atomkraftgegner, die mit falsch interpretierten Daten Angst in der Bevölkerung schüren."
Österreichische Grenzblockaden
Karel Hájek, der Bürgermeister der nahe gelegenen Kreisstadt Týn nad Vltavou, glaubt, dass österreichische Grenzblockaden (siehe Artikel) eher die Atom-Befürworter stärken. Zumindest in der Tschechischen Republik. Für ihn ist das AKW der wichtigste wirtschaftliche Faktor in der Region. Er könne sich auch vorstellen, dass in Temelín eines Tages ein Endlager für ausgebrannte Brennstäbe gebaut werde.
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