Es ist eine bittere Ironie der Geschichte: Für die Briten geht ihr Engagement im Irak unter exakt denselben Umständen zu Ende, wie es begonnen hat, nämlich mit faustdicken Verbiegungen und Verdrehungen der Wahrheit. Am Anfang sind Saddams inexistente Massenvernichtungswaffen gestanden, am Ende steht Tony Blairs Behauptung, dass die erfolgreiche Befriedung des irakischen Südens einen Verbleib britischer Truppen nicht oder wenigstens nicht mehr im bestehenden Umfang erfordere.

Es ist dies eine kühne Interpretation des wahren Sachverhaltes, die wie ein spätes Echo auf George W. Bushs berühmt-berüchtigte "Mission accomplished"-Rede im Mai 2004 wirkt. Denn von einem britischen "Erfolg" zu sprechen, ist allenfalls dann gerechtfertigt, wenn man darauf abstellt, dass Saddam Hussein endgültig unschädlich gemacht wurde. Der schiitische Süden des Irak mag zwar ethnisch homogener sein, aber er ist auch von Bandenkämpfen zerrissen, bei denen es um Macht und die Kontrolle von Rohstoffressourcen geht. Die erfolgreiche Befriedung eines Krisengebietes sieht anders aus als in Basra und Umgebung; dies weckt unangenehme Assoziationen mit dem Süden Afghanistans, wo der Nato die Situation ebenfalls zunehmend aus dem Ruder läuft.

Es dürfte ein ganzes Bündel von Gründen sein, die Blair zur Ankündigung des Teilrückzuges bewogen haben, der im Übrigen auf US-Druck weniger umfangreich ausgefallen ist, als ursprünglich beabsichtigt. Womöglich will Blair sein durch den Irakkrieg demoliertes Image vor dem endgültigen Ende seiner politischen Karriere in diesem Sommer teilweise für die Nachwelt sanieren. Sicher steht er unter zunehmendem Druck seiner eigenen Partei, die den unpopulären Krieg nur mit großer Müh und Not und oft am Rande einer Zerreißprobe mitgetragen hat. Dann ist da die endlose Kette von Skandalen - Häftlingsmisshandlungen, Entsendung Minderjähriger in das Kriegsgebiet - die nicht dazu angetan war, den britischen Kriegseintritt als Akt des Heroismus und der historischen Weisheit erscheinen zu lassen.

Bei den USA, der wichtigsten kriegführenden Macht, haben sich die politischen Verhältnisse grundlegend verändert. Seit dem Wahlsieg der Demokraten in beiden Häusern des Kongresses bläst Präsident George W. Bush und seinem Vize Dick Cheney ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Die meisten US-Demokraten, aber auch immer mehr Republikaner rufen zum Rückzug auf - eine Forderung, die man noch vor einem Jahr nur schwer erhoben hätte, ohne sich dem Verdacht des mangelnden Patriotismus auszusetzen.

Schließlich ist auch noch der Mangel an jeder Perspektive zu nennen: Denn es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn sich die Verhältnisse im Irak mit einem Mal dahingehend ändern sollten, dass die Erfolgsmeldungen von Blair und Bush auch wirklich Substanz haben.

In den USA haben sich der Präsident, sein Vize Dick Cheney und Außenministerin Condoleezza Rice umgehend Blairs Interpretation der Geschehnisse - der britische Rückzug als Krönung einer Erfolgsgeschichte - angeschlossen. Das ist wenig überraschend, doch der Gegensatz zwischen Bushs eigenem Bestreben, die US-Truppen im Irak aufzustocken, und dem britischen Rückzug verrät, dass da "wishful thinking" und verbales Spindoctoring im Spiel ist.

Der Eindruck, dass die "Koalition der Willigen" von Zersetzungserscheinungen geplagt wird, lässt sich nicht mehr aus der Welt schaffen. Der Absprung der Niederländer, Spanier, Ukrainer, Ungarn, Polen und Dänen war noch zu verkraften, doch die im Ton einer Siegesmeldung vorgetragene Kapitulation des treuesten Koalitionspartners hat eine ganz andere Qualität und ist ein schwerer symbolischer Schlag für Bush. Sie wird den Kriegsgegnern in den USA Auftrieb geben, und dass sie auch die Irakdebatte im US-Vorwahlkampf intensivieren wird, das ist jetzt schon so sicher wie das Amen im Gebet. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.2.2007)