Wenn die Leute in Istrien "Kanal" sagen und auf Badegäste hoffen, ist das nicht ironisch gemeint. Hier im Kalksteinkarst heißt sogar der zehn Kilometer lange, naturgeschützte Limfjord "Limski Kanal". Einer anderen Meerenge verdankt das Städtchen Rovinj gar seine touristische Erschließung. Eigentlich einem Ex-Kanal, der die Ex-Insel bis ins 18. Jahrhundert vom Festland trennte. Seither verbindet sie ein Damm mit dem Rest Istriens, der drangehängte Hafen macht die Insel vollends zu einer halben. (Auch zwei der 20 vorgelagerten Inselchen haben sich inzwischen verbandelt und von ihrem Kanal verabschiedet.)

Das Verbindende scheint irgendwie zur Identität des Adria-Städtchens zu zählen. So leben hier Italienisch-Sprechende und Kroaten zusammen, als gäbe es in dieser Weltgegend keine ethnisch verbrämten Konflikte. Der karstige Küstenstrich kam übrigens in keinem der jüngsten Balkankriege unter Beschuss, die Besucher blieben dennoch in Scharen aus. Zweisprachige Ortstafeln und Straßennamen sind hier in Rovigno, 170 Kilometer von der Kärntner Grenze, selbstverständlich. Selbst die Bäckerei am Obst- und Gemüsemarkt heißt "Pekera – Panetteria".

Der Grappa ist italienisch, die Pleskavica (flache Fleischlaberln) sind kroatisch, nur das Bier ist vielerorts österreichisch. Ob sich deshalb viele Österreicher hier so wohl fühlen?

Rovinjs enges Gassenwerk mit seinen Erkern, Winkeln, Treppen und Arkaden erschließt sich jedenfalls nur einem gemütlichen Naturell. Wer das nicht mitbringt, muss wohl mehrmals durchspazieren, um all die merk- und liebenswürdigen Details zu entdecken. Hier eine Bananenstaude, dort einen verwahrlosten Ziehbrunnen, da einen lorbeerbekränzten Römerkopf, der schwer an einem Türstock trägt.

Und dazwischen die gar nicht badeschlapfen-gerechten, glatt gewetzten hellen Pflastersteine. Sie reflektieren das wenige Sonnenlicht, das seinen Weg in die Häuserschluchten findet, und erhellen so die zahlreichen Malerateliers und Galerien. Darüber, zwischen den obligaten Fensterläden, baumeln Papas Gerippte und Mamas kleines Blaues zum Auslüften.

Über allem thront ein Kirchturm, der an St. Markus zu Venedig gemahnt. 500 Jahre venezianische Herrschaft waren schon am geflügelten Löwen auf dem Stadttor nicht zu übersehen. Eigentlich heißt die Kirche der Stadtpatronin aber St. Euphemia. Die Überreste der Märtyrerin sollen hier im Jahr 800 unter mysteriösen Umständen angeschwemmt worden sein, ein Umstand, den die Tourismusverantwortlichen im Jahr 2000 gebührend begehen wollen.

Kuriosum am Rande: Die Kupfer-Figur der heiligen Euphemia auf dem Kirchturm dreht sich – gar nicht märtyrerinnen-like – mit dem Wind.

Seit kurzem will man das Image der erholsamen Familiendestination mit jugendlichem Fun-Fun-Fun verbinden. Und stampfte ein 6000 m² großes Vergnügungsviertel namens Monví, das größte des Landes, aus dem Boden – klugerweise einen Kilometer außerhalb der Stadt.

Weiland ein Eiland, wird Rovigno aus der Luft betrachtet auch heute noch diesem sonst nur von synonym-süchtigen Journalisten gebrauchten Wort für Insel gerecht. Ein bisschen erahnen auch Segler vom Meer her Rovinjs ovale Form.

Nahe der vorgelagerten Inseln versank einst auch das österreichische Dampfschiff "Baron Gautsch". Taucher dürfen da heute nur noch zu speziellen Anlässen hin. Was der Mythenbildung nicht abträglich sein dürfte. (Roland Schönbauer, Der Standard, Printausgabe)



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