Vom 9. August an werden die ansonsten so zurückhaltenden

Nordländer ganz aus dem Holzhäuschen geraten. Dann wird in Schweden drei Wochen lang die "Krebspremiere" gefeiert, wie jedes Jahr vom zweiten Mittwoch im August an. Besonders temperamentvoll geht es dabei an der Westküste nördlich von Göteborg zu, wobei die "Krebspremiere" aus der Zeit stammt, als es lediglich von jenem Tag im August an für drei Wochen erlaubt war, in den Gewässern Schwedens Flusskrebse zu fischen. Nicht nur, dass die Krebse ausgesprochene Delikatessen sind, auch die Gebräuche und Tischsitten, die sich rund um diese kulinarischen Festwochen ranken, sorgen für gute Stimmung.

Gäbe es auch Festwagen und Spielmannszüge, müsste Rosenmontag sein. Dürften Böller gezündet werden, wäre Silvester: Westschweden im kulinarischen Partyrausch. Girlanden an Ferienhausterrassen und Balkonen, bunt dekorierte Restaurants, Papphütchen auf dem Kopf, bunte Lätzchen vorm Bauch, ein Dauergrinsen im Gesicht und ständige neue Trinklieder auf den Lippen, Trubel an Flussufern, an Bächen und Seen, Partystimmung in den Städten - Schweden feiert die Krebse. Selbst das Fangen der Schalentiere wird zum Kult, bei dem manch einer im Eifer des Gefechts baden geht und so dem hartschaligen Objekt der Begierde näher kommt als ihm lieb ist: heiteres Großwildjagen in Schwedens Flüssen. Spaß muss sein, und deswegen macht man sich die Krebsjagd nicht zu einfach. Denn je effektiver die Fangmethode, desto eher ist der Spaß vorbei. Und das wäre allzu schade.

Da werden selbstgebastelte Konstruktionen aus Dosen, Seilen und Netzen als Fallen an seichten Stellen der Flüsse und Bäche drapiert, die ständig im Auge behalten werden müssen. Tappst der Krebs in die Falle, wird die Konstruktion schnellstens am Seil aus dem Wasser befördert. Klar, dass die Beute dabei meistens wieder heraus plumpst - und der Jäger im Übereifer allzu leicht in den Tümpel hinein. Vor allem, wenn er die goldene Regel "ein Krebs, ein Schnaps, ein Lied" voreilig zur Einstimmung abgewandelt hat: "kein Krebs, zwei Schnaps, ein Lied" . . .

Wenn irgendwann spät am Abend genügend Beute gemacht wurde, geht es an die Zubereitung, am besten bei Freunden hinterm (Ferien-)Haus auf der Terrasse: Party mit Papphut und Musik bis zum Morgengrauen. Wer nicht selber jagen will, reserviert rechtzeitig Plätze in Gaststätten. Gute Laune jedenfalls steht bei aller Feinschmeckerei im Vordergrund, und auch in den bunt dekorierten Restaurants feiert niemand die "Krebspremiere" im "Kleinen Schwarzen".

Auch eine Kultfigur haben die fröhlichen Krebs-Feinschmecker von der Westküste: Staffan Greby heißt er. Freimütig gesteht der grauhaarige Mann in der Matrosenjacke, dass er von Haus aus Straßenbau-Ingenieur ist und mit Rezeptbüchern nicht viel anfangen kann. Lediglich die Schalentiere haben es ihm angetan. Und die bereitet mittlerweile niemand in Schweden besser zu als er. Berühmt geworden ist er für seine kaltgeräucherten Schalentierplatten mit Taschenkrebsen, deren Panzer servierfertig aufgesägt sind. Mit in Dill gekochten Flusskrebsen, deren Fleisch am besten mit speziellen Metallhaken durch gekonntes Drehen aus der Kruste der knallroten Köstlichkeiten herauslaviert wird.

Die Küchenchefs der besten schwedischen Sterne-Restaurants traten inzwischen bei ihm an, um sich in seiner urigen Stelzen-Kneipe "Greby's Skaldjurs Café" am Hafen von Grebbestad in die Geheimnisse seiner Räucherkunst einweihen zu lassen. Seine Ware kauft Staffan Greby fangfrisch direkt am Kutter vor der Haustür oder im benachbarten Smögen ein. Von 80 Kilo Langusten beispielsweise finden nur 20 Kilo wirklich den Weg in seine Töpfe: strenge Qualitätskontrolle. Die Fischer wiederum garantieren für reichlich Auswahl. 50 Prozent aller schwedischen Hummer werden hier gefangen. 90 Prozent der schwedischen Austern stammen von den Bänken vor Grebbestad.

Freie Tische jedenfalls haben bei Greby Seltenheitswert, unzufriedene

Gäste auch. Über 2000 Visitenkarten mit Dankes- und Lobesworten darauf sind auf dem Korridor zur Toilette flächendeckend an die Wand geheftet. An anderer Stelle sind Texte und Noten des schwedischen Volksmusik-Komponisten Evert Taube in schwarz an die Holzwand gemalt, als Gedächtnisstütze für bierselige Runden, wenn es spätabends vergnügt ans Singen geht. Tische und Stühle sind fast ausschließlich aus Heringskisten und den Planken alter Stege zusammengezimmert. Die rustikale Einrichtung hat Greby kurz vor der Eröffnung 1985 rund 750 Kronen gekostet. Das sind nicht einmal 1500 Schilling. Unter den Fußbodenplanken schwappt das Ostseewasser hin und her, und als Markenzeichen hängt ein getrockneter Dornhai an der Tür.

Sogar Roman Polanski war hier schon zu Gast. An den Namen seiner Begleiterin kann sich Greby nicht mehr erinnern. "Hier fragt keiner danach", sagt er, "aber bildschön war sie!" Dass sie zu später Stunde aufstand, ein als Dekoration gedachtes Akkordeon von der Wand nahm und spielte - das aber weiß er noch ganz genau.
Helge Sobik