"Die USA wollen einen Abzug in Ehre aus dem Irak, die eine oder andere Schlacht noch gewinnen, um dann zu sagen: wir wurden nicht hinausgeschmissen sondern sind von uns aus gegangen. Ob ihnen das gelingen wird, bezweifle ich."

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foto:Kneissl
Karin Kneissl ist Nahostexperin und Autorin. Zuletzt erschien ihr Buch "Die Gewaltspirale - Warum Orient und Okzident nicht miteinander können". Im derStandard.at- Interview spricht sie über die Zukunft des Verhältnisses zwischen Orient und Okzident, die Gefahr eines EU-Beitritts der Türkei und über den Zerfall des Iraks.

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derStandard.at: In den vergangenen Jahren gab es eine ganze Fülle von Büchern zum Thema Naher Osten. Was hat Sie zu ihrem Buch "Die Gewaltspirale" bewogen?

Kneissl: Sie haben recht, es ist in den letzten Jahren sehr viel dazu erschienen und man kann sich die Frage stellen: „Warum brauchen wir noch ein Buch dazu?“. Das Hauptmotiv war es, 20-23 Jahre Studium und Forschung auszuformulieren und einige Themen, über die ich in den letzten Jahren referiert habe und bei denen ich gemerkt habe, dass es da sehr viel Unwissenheit gibt, auf den Punkt zu bringen. Eine der Thesen, die ich versuche aufzustellen ist, dass Orient und Okzident trotz einer regelrechten Informationsflut immer weniger voneinander wissen. Der Grund ist, dass es vorgefasste Meinungen von Experten gibt, die gar nicht mehr reisen und sich mit dem Raum beschäftigen, sondern fast nur vom Schreibtisch aus arbeiten. Ich habe den Eindruck, dass das vor ein paar Jahrzehnten noch anders war.

derStandard.at: Sie sagen, dass das Verhältnis zwischen Orient und Okzident von Missverständnissen geprägt ist. Sind diese vorgefassten Meinungen der Grund dafür?

Kneissl: Bedauerlicherweise ist das eine Entwicklung der letzten Jahre: Wir bewegen uns hin zu einem policy concept. Das ist besonders an den USA zu beobachten, aber auch zunehmend in europäischen Staaten. Zuerst wird das Konzept aufgestellt, dann wird die Realität an das Konzept angepasst. Das hat man ganz besonders beim Irak-Krieg gesehen, wo man von vielen falschen Argumenten ausgegangen ist. Auch der Iran wird falsch wahrgenommen: Der Iran ist mehr als ein fanatisches Mullah-Regime, das den Holocaust leugnet und eine Gefahr für die Welt darstellt.

derStandard.at: Sie zitieren einen amerikanischen Nahostexperten, der die US-Außenpolitik mit Baseball vergleicht: Schlag zu und lauf. Ist das nicht eine übertriebene Sichtweise?

Kneissl: Er hat das als US-Amerikaner so gesagt. Tatsächlich sieht man das aber auch an vielen US-Aktionen: Es wird zuerst gehandelt und dann nachgedacht. In den USA besteht die Tendenz, Baseball-Bilder heranzuziehen, um komplizierte Sachverhalte einer Öffentlichkeit näher zu bringen. Im Orient wurde nun mal das Schachspielen erfunden. Die Russen oder die Serben sind die besten Schachspieler. Da wird vorher überlegt, welche die Schachzüge des Gegners sind, was nicht für die USA und nicht wirklich für Europa gilt.

Bei uns sind die Zeitbegriffe ganz andere. Gerade in den USA wird in Sechs-Monatseinheiten gedacht um contingency-planning (Schublandenplanung Anmk.) zu betreiben, worin sie auch ohne Zweifel sehr gut sind. Aber dass sich etwas über Generationen hinweg entwickeln kann und dass es oft Jahre braucht, bis man wieder etwas gut machen kann – Stichwort Irak - für so etwas fehlt oft das Verständnis. Es wird sehr lange dauern, bis die Wut auf den Westen in seiner Gesamtheit überwunden sein wird.

derStandard.at: Sie kennen durch Ihre guten Kontakte auch die Sichtweise des Orients auf den Westen. Ist dieses Bild ein homogenes und wie lässt es sich beschreiben?

Kneissl: Wenn man das verallgemeinern will, dann kann man sagen, dass der Westen lange sehr differenziert gesehen wurde. Da gibt es die Briten, die Franzosen oder die Deutschen, die alle in ihrer Eigenart gesehen wurden. Gerade mit dem Karikaturenstreit im vergangenen Jahr hat sich diese Sichtweise geändert. Da wurde von ein paar Wahnsinnigen bewusst ein Bild geschürt, das den Westen in einen Topf geworfen hat.

Zum ersten Mal wurden nicht nur US-Flaggen oder israelische Flaggen, sondern auch dänische, norwegische oder deutsche Flaggen verbrannt. Das hat den Europäern einen starken Stich gegeben. Die Gewalthandlungen haben Erfolg gehabt und Europa hat dazu beigetragen, dass es diese differenzierte Sichtweise kaum noch gibt. Die Teilnahme europäischer Staaten an Folterflügen, der Einsatz im Irak-Krieg oder der Umgang mit der Hamas nach den Wahlen: Vieles von dem, wofür Europa immer stand, nämlich für Aufklärung, Humanismus und Menschenrechte, ist verloren gegangen.

derStandard.at: Dennoch schöpfen Sie in Ihrem Buch Hoffnung für die Zukunft, dass sich die Situation zwischen Orient und Okzident verbessert. Worauf beruht diese Hoffnung?

Kneissl: Zum einen sind unsere Abhängigkeiten voneinander zu stark. Nicht nur beim Thema Energie, sondern auch was die Migration betrifft. Die Gesellschaften haben sich auf beiden Seiten schon zu sehr vermischt, als dass man jetzt unüberwindbare Hürden aufbauen könnte. Die Fakten sprechen dafür, dass wir irgendwie miteinander auskommen müssen und auch, dass wir nicht religiös aufeinander zugehen dürfen. Das Motto: "Das ist mein Feind und mit dem darf ich mich nicht zusammensetzen" funktioniert nicht. Man wird am Ende eher sagen: "Mit dem muss ich mich zusammensetzen".

Zum anderen stehe ich unter dem Eindruck, dass wir historisch sehr viel gelernt haben vom Orient, dass uns der Orient immer ein Stückchen voraus war – im guten wie im schlechten Sinne. Wir werden vielleicht auch noch in Europa eine Zeit erleben, in der wir uns sehr nach ethnischen und religiösen Motiven orientieren, was sehr gefährlich ist. Was sich gegenwärtig im Orient abspielt, kann auch in wenigen Jahren auf uns zukommen. Man braucht sich nur die Situation in Frankreich anzusehen, wo die Kommunitaristen im Aufwind sind, die im krassen Widerspruch stehen zu einer laizistischen Republik.

derStandard.at: Das große Thema in Europa wird in den nächsten Jahren die Türkei sein. Soll die EU die Türkei in ihre Reihen aufnehmen?

Kneissl: Ich persönlich bin gegen einen Beitritt der Türkei zur EU, weil ich glaube, dass die Türkei eine viel zu große Rolle als regionaler Akteur spielt. Beispiel Usbekistan: Die Popularität der Türkei bei den usbekischen Männern ist zum Beispiel enorm. Alle wollen türkisch lernen, dort arbeiten und leben. Das ist die gleiche Faszination, die die USA auf die Italiener zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgeübt haben. Dieses Image genießt die Türkei in Zentralasien.

Die EU ist mit den Instrumenten, mit denen sie jetzt ausgestattet ist, nicht in der Lage sich zu erweitern. Außerdem ist das Souveränitätsverständnis der Türkei ein ganz anderes als in Europa. Auch wir kämpfen täglich damit, Souveränität in gemeinschaftliche Instanzen zu redigieren. Frankreich und Polen bereitet das bis heute Schwierigkeiten, bei der Türkei würden die Probleme ausarten.

derStandard.at: Die aktuelle Lage im Irak scheint hoffnungslos. Was wird mit dem Land in den nächsten Jahren passieren - mit und ohne amerikanische Besatzungsmacht?

Kneissl: Der Zerfall des Irak ist in vollem Gange. Man nehme den autonomen Nordirak, der auch von der neuen Bundesverfassung profitiert und seine eigenen Erdölfelder erschließen wird. Die Kurden werden sich nicht noch einmal die Chance entgehen lassen, ihren eigenen Staat zu gründen, auch wenn das wiederum auf eine Konfrontation mit der Türkei hinauslaufen wird. Es sei denn, den USA gelingt es einen starken Druck auf die Kurden auszuüben, was aber auch nicht unbedingt sein muss. Tatsache ist auch, dass um die Konkursmasse Irak gestritten werden wird. Nicht die USA, sondern auch Russland, China, Indien und andere energiehungrige Staaten. Der Irak verfügt über große Rohstoffvorkommen, die ihn immer zu einem Objekt der Begierde machen.

derStandard.at: Und wie werden die USA langfristig mit ihren Truppen im Irak umgehen?

Kneissl: Die USA wollen einen Abzug in Ehren, die eine oder andere Schlacht noch gewinnen, um dann zu sagen: wir wurden nicht hinausgeworfen, sondern sind von uns aus gegangen. Ob ihnen das gelingen wird, bezweifle ich. Auch in Afghanistan erleiden die USA eine Niederlage. Man bedenke, dass die Sowjetunion in Afghanistan mit einem weit höheren Truppenkontingent einmarschiert sind und unehrenhaft wieder abziehen mussten. In beiden Fällen werden die Extremisten dieser Welt einen Propagandasieg erringen. (Gunther Müller/derStandard.at, 21.02.2006)