derStandard.at: Ihre Familie kommt aus dem Iran, Sie sind in Österreich geboren und aufgewachsen. Was denken Sie sich zu den Diskussionen um eine europäische Identität? Sind Sie Europäer?

Niavarani: Ich bezeichne mich - wenn ich gefragt werde - als persischer Österreicher. Für mich selbst ist aber "Identität" keine relevante Kategorie. Nationalstolz kann nämlich arge Auswüchse annehmen. Ein wunderbares aktuelles Beispiel: die Mozartdauerwurst im Jahr 2006, bei der dem armen "Österreicher" Mozart Grauenvolles angetan wird.

Was ich an mir beobachtet habe: Nachdem der iranische Präsident diese entsetztlichen Äußerungen über den Holocaust gemacht hat und Israel gerne nach Europa transferiert hätte, begann ich mich bei jüdischen Bekannten ungefragt dafür zu entschuldigen. Dieselbe Erfahrung habe ich mit Kurt Waldheim und Jörg Haider in Amerika gemacht. Das treibt mich allerdings dazu, zu sagen: "Ich scheiß auf meine Identität." Ich brauche weder eine iranische, noch eine österreichische, noch eine europäische Identität. Wenn die Außerirdischen kommen, wär allerdings eine "Weltidentität" ganz gut.

derStandard.at: Kabarett lebt von Überzeichnung. Eignen sich die europäische Politik oder EuropäerInnen zur Karikatur? Oder ließe sich nicht aus der Mozartdauerwurst etwas machen?

Niavarani: Das mit Mozart hab ich 1991 im 200. Todesjahr erledigt. Da haben wir ein Theaterstück geschrieben, in dem alle Menschen unter einer Mozartdikatur lebten. Alles, was nicht mit Mozart zu tun hatte, war verboten. Die Mitglieder der Widerstandsgruppe, die Beethoven hörten, wurden gefoltert, etc. Der Europäer selbst ist nicht tauglich für das Kabarett, weil er einfach nicht existiert.

derStandard.at: Auch Gurkenkrümmung und andere Details sind nichts fürs Kabarett?

Niavarani: In dieser Hinscht ist die EU schon ein Kabarett für sich. Lachhaft. Ich versuche das aber positiv zu sehen und denke mir, dass das mit der Gurkenkrümmung damals so was wie ein erstes Übungsgesetz war. Man hat sich gedacht, gleich mit Asylanten oder Finanzen zu beginnen, wäre zu riskant. Wir versuchen erstmal was Ungefährliches und schauen, ob wir zu einer Einigung kommen können: deswegen hat man sich die Gurkenkrümmung ausgesucht, da is wurscht.

derStandard.at: Wie erklären Sie sich die österreichische Ablehnung gegen die Türkei?

Niavarani: Meiner Meinung nach hat das prinzipiell mit der Angst vor einer fremden Religion zu tun, obwohl wenig Leute den katholischen Glauben noch praktizieren oder mittlerweile ausgetreten sind. Das sitzt einfach alles sehr tief. Ich war als Kind fasziniert von Jesus Christus. Gott hat ja schließlich seinen Sohn gesandt, um uns zu retten. Wie kann man da überhaupt einer anderen Religion angehören? Wir müssen uns aber irgendeinen Weg überlegen, wie man mit dem Islam umgeht und lebt.

derStandard.at: Welches Bild haben Ihre iranischen Verwandten von der Europäischen Union als politische Union?

Niavarani: Ich habe ja iranische Verwandte in den USA, in Schweden, in England und in Deutschland. Wir führen kaum politische Diskussionen, interessant ist aber, dass sich immer die Front Europa gegen die USA bildet. Der Cousin aus den USA kann nicht verstehen, dass die Europäer so auf ihre Geschichte stehen. Da hat er aber keine Meter gegen die Cousinen und Cousins aus Europa.

derStandard.at: Sind die jüngsten Aussagen des iranischen Präsidenten oder der Atomstreit zwischen EU und dem Iran in Ihrem familiären Umkreis kein Thema?

Niavarani: Politische Diskussionen zum Thema Iran werden hauptsächlich zu Vergangenem, zur iranischen Revolution und ihren Gründen etc. geführt. Ahmadinejad ist kein Thema. Die Exiliraner genieren sich für diesen Präsidenten, hauptsächlich weil er ein Prolet ist, auch wegen der israelfeindlichen Aussagen. Die ja aus kabarettistischer Sicht eigentlich ein Lacher sind. Ich möchte niemanden beleidigen, aber: Israel statt Kärnten, warum nicht?

derStandard.at Wie sehen Sie die Zukunft der EU?

Niavarani: Die Osterweiterung muss natürlich passieren, weil Kroatien, Rumänien, Bulgarien etc. einfach zu Europa gehören. Am meisten beeindruckt mich persönlich die friedenspolitische Bedeutung der EU. Dass wir in einer Union sind, in der man sich versprochen hat, sich nie mehr gegenseitig in die Goschn zu hauen. Wichtig ist auch, dass die EU den USA in ihrem überdimensionalen Ego etwas entgegensetzt, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gegen die grauenvolle kulturelle Unterdrückung.

Prinzipiell finde ich es positiv, bei Themen wie Asyl einen gemeinsamen Weg zu suchen. Die Gefahr besteht nur darin, dass man sich dann auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt und erst wieder "Oaschloch-Gesetze" rauskommen. (mhe/derStandard.at, 1.2.2006)