Pristina - Mit fünf Einschüssen im Brustkorb liegt Ganimete Demolli in einem Krankenhausbett in Pristina. Die 25 Jahre alte Kosovo-Albanerin ist außer Lebensgefahr, sprechen kann sie aber kaum. Bei einem Spaziergang im Zentrum der Provinzhauptstadt hatten Männer das Feuer auf sie und ihre Freundin Merita eröffnet. "Der Angreifer könnte der Ex-Mann eines Opfers gewesen sein", stellte die Friedenstruppe KFOR in einem Untesuchungsbericht fest. Merita war verheiratet, ist aber seit neun Jahren geschieden. Und ihr Fall wirft ein Schlaglicht auf die Besorgnis erregende Zahl der Angriffe gegen Frauen. Täglich mehrere Fälle Die Berichte der UNO-Polizei zählen jeden Tag mehrere Fälle auf. Am Tag vor den Schüssen im Stadtzentrum gab es zwei Vergewaltigungen und eine Entführung. Dann war der Fall eines Mannes, der den Kopf seiner Frau auf den Küchentisch schlug, bis sie bewusstlos war. "Frauen sind in dieser Gesellschaft hier sehr verletzlich", sagt ein Sprecher der UNO-Polizei. Die Zahl der Berichte über Gewalt gegen Frauen nehme zu. Frauen stellen etwa 60 Prozent der Bevölkerung im Kosovo. Zwei albanische Frauen leiten heute wichtige Abteilungen der neuen Provinzverwaltung für Justiz und demokratische Institutionen. Frauen haben ein Viertel der Posten in der neuen Polizeitruppe. Bei den kommenden Kommunalwahlen im Herbst soll auf mindestens jedem dritten Listenplatz eine Frau kandidieren. Es gibt 15 Gruppen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen und anderen in der Not nach dem Krieg helfen. "Können nicht viel machen" "Das Problem ist, dass wir nicht viel machen können, solange das Justizsystem nicht funktioniert", sagt Charly Johnson, ein US-Polizist im Dienste der Vereinten Nationen in Pristina. Die Erfahrungen der UNO-Polizei zeigten zudem, dass die Richter im Kosovo bei als privat eingestuften Gewalttaten zurückhaltend sind. Die britische Sozialhelferin Rachel Wareham ist nach fünf Jahren Arbeit im Kosovo überzeugt: "Gewalt gegen Frauen hat tiefe Wurzeln in der Kosovo-albanischen Gesellschaft. Gewalt wird respektiert, Schläge sind Teil einer Lektion, und das Mundhalten ist ein ungeschriebenes Gesetz." Der Preis für Auflehnung könne der Verlust der Familie sein. Wareham sagte: "Es gibt aber keine Gewalt, wenn Frauen ihrem Mann gegenüber folgsam sind." Gewalt durch Krieg und Nachkriegstrauma Die Britin arbeitet an einer noch unveröffentlichten Studie der UNO. Danach haben ein Viertel der Frauen in den vergangenen beiden Jahren Gewalt erlitten. Außerdem wird deutlich, dass die Gewalt gegen Frauen im Vergleich zur Zeit vor dem Kosovo-Krieg zugenommen hat. "Das hat hauptsächlich mit dem Krieg und dem Nachkriegstrauma unserer Gesellschaft zu tun", sagt die Frauenaktivistin Igballe Rogova. Sie schildert, wie sich Frauengruppen mit einem Juristengremium der UNO-Mission streiten mussten, als es um den Entwurf eines Gesetzes gegen häusliche Gewalt ging. "Weil sie die Gesellschaft als patriarchalisch betrachten, wollten die Juristen das Prügeln einer Frau durch ein Familienmitglied nicht als Straftat betrachten, wenn die Frau dies provoziert hat", sagt Rogova. Für albanische Männer stünden die Rechte der Frauen aber jetzt nicht mehr auf der Tagesordnung. Rogova sagt: "Früher hatten wir auch unsere männlichen Freunde an unserer Seite. Jetzt sind sie hinter der Macht her und lassen uns in diesem Kampf allein." (Von Albana Kasapi/dpa)