Die Tragödie von Linz hat auch grundsätzliche Fragen zur Rechtspraxis der "gemeinsamen Obsorge" aufgeworfen. - Eine Replik auf Edgar Prees "Ansichten eines Scheidungsvaters" (STANDARD, 14. 2. ) aus Sicht einer Alleinerzieherin.

Die Österreichische Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) bemüht sich seit Jahren - nicht zuletzt durch spezielle Angebote von Seminaren zur Trennungs-/ Scheidungsbegleitung - den Eltern bewusst zu machen, wie wichtig ein respektvoller Umgang der getrennten Eltern ist, um zu gewährleisten, dass die Kinder von beiden Elternteilen Halt und Unterstützung bekommen können.

Laut Aussage von Herrn Dr. Pree "empfinden es viele Mütter als ihr gutes Recht, den Vater auszugrenzen". Aus unserer langjährigen Erfahrung in der Begleitung von Alleinerziehenden hören wir jedoch immer wieder Klagen von allein erziehenden Müttern, wie sehr ihre Kinder darunter leiden, dass der Kindesvater die bestehende Besuchsregelung häufig nicht einhält oder sich nur selten um die Kinder kümmert, im schlimmsten Fall den Kontakt zu ihnen überhaupt ganz abgebrochen hat.

Dies war ja unter anderem auch ein Grund für die Einführung der gemeinsamen Obsorge, weil zu erhoffen war, dass dadurch nicht mehr wie bisher ca. ein Drittel der getrennt lebenden Elternteile bereits ein Jahr nach der Scheidung und 40 Prozent nach drei Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern hat. Dass diese hohe Zahl nicht nur auf Verweigerung des Kontakts durch die allein erziehenden Elternteile zu begründen ist, liegt wohl auf der Hand.

Ernüchternde Studie

Hat sich die Situation in Bezug auf den Vaterkontakt durch die gemeinsame Obsorge auch wesentlich verbessert, ist es doch verwunderlich, dass laut der "Evaluationsstudie über die Auswirkungen der Obsorge beider Eltern" bereits wenige Monate nach der Scheidung getrennt lebende Elternteile trotz gemeinsamer Obsorge keinen oder nur mehr sehr seltenen Kontakt zum Kind haben. Auch die Aussagen über die Verständigung der Eltern mit gemeinsamer Obsorge über Angelegenheiten der Kinder sind ernüchternd: Unglaubliche 7,2 Prozent der Eltern geben an, sich - trotz gemeinsamer Obsorge - gar nicht mit dem anderen Elternteil über Angelegenheiten, die die Kinder betreffen, zu verständigen. Und jedes fünfte Elternpaar verständigt sich nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Bis zu 27 Prozent der Eltern geben an, dass es keine Verständigung über Kindergarten, Schule, Berufsausbildung, wichtige gesundheitliche Entscheidungen, Sorgen über die Kinder und grundsätzliche Entscheidungen über Erziehung gibt. Wie soll aber gemeinsame Obsorge funktionieren, wenn der Wille zu einer konstruktiven Gesprächsbasis zwischen den Elternteilen fehlt?

Die Meinung von Dr. Pree, dass die gemeinsame Obsorge nur "symbolisch ermöglicht und auch heute noch die Mutter sozusagen ,ungeschaut' die alleinige Obsorge bekommt, wenn der Vater den ganzen Tag arbeitet und für die Kinder Geld verdienen muss", wird durch die hohe Akzeptanz der gemeinsamen Obsorge widerlegt. Laut Studie haben 53,7 Prozent der in einem bestimmten Zeitraum einvernehmlich geschiedenen Eltern die gemeinsame Obsorge gewählt, wobei in knapp 85 Prozent der Fälle die Kinder bei den Müttern leben.

Außerdem geht der Autor anscheinend von der Annahme aus, dass die Mütter keiner Berufstätigkeit nachgehen und sich nur um die Kinder zu kümmern brauchen.

Ausgeblendete Realität

Die Realität ist jedoch die, dass die meisten Mütter auch berufstätig sein müssen, um die finanzielle Existenz der Familie zu sichern, vor allem wenn man bedenkt, dass laut einer Befragung der ÖPA 17 Prozent der befragten Alleinerziehenden weder Unterhalt noch Unterhaltsvorschuss erhalten. Wären Väter tatsächlich genauso wie sie bereit, bei fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten ihre Arbeitszeit zu reduzieren, finanzielle Einbußen, oft auch den Verlust des Arbeitsplatzes in Kauf zu nehmen, um das Kind versorgen zu können?

Viele Mütter würden aufgrund finanzieller Notwendigkeiten auch gerne ganztags arbeiten - aber wegen der in Österreich fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen ist ihnen dies (vor allem in ländlichen Gebieten) oft nicht möglich. Sie zahlen dafür im Alter die Rechnung, wenn sie für Berufsausstieg bzw. Teilzeitarbeit entsprechend niedrige Pensionen erhalten und dadurch in die Altersarmut abgleiten - davon wird viel zu selten gesprochen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.2.2007)