Constanza Macras
Foto: Peter Shelven
dieStandard.at: Warum werden Sie von den Zeitungen die "trash queen" der Berliner Volksbühne genannt? Constanza Macras: Die raue Energie, die meine Tanzproduktionen ausstrahlen, die nicht klinische, nicht ästhetische Choreografie assoziieren die Leute mit Punk, mit Trash. Das ist eine altmodische Terminologie. Wenn ich etwas war, dann war ich Punk, ich mochte die Musik. Aber ich mag den Ausdruck Trash nicht, denn wir arbeiten mit Qualität und nicht mit schlechter Energie. Meine TänzerInnen wissen genau, wann sie etwas pathetisches oder absurdes machen. In Berlin arbeiten einige Leute an der Volksbühne mit seltsamen Situationen, mit Slapstick, einer Kombination von Elementen...

dieStandard.at: Sie mischen in ihren Produktionen gerne AmateurInnen und professionelle TänzerInnen. Funktioniert das?
Constanza Macras: Wir erarbeiteten ein Stück mit Kindern aus dem Libanon und Palästina, das sind unglaubliche Hip Hop Tänzer. Ich möchte jetzt drei Jahre später ein Follow up mit den gleichen Kindern machen. Es war sehr hart, mit denen zu arbeiten und niemand von den Profis möchte noch einmal mittanzen. Ich muss alles neue Leute suchen. In einem anderen Stück spielten drei ältere Damen von der Kommunistischen Partei der Demokratischen Republik mit. Das Stück MIR, benannt nach der Raumstation, handelte von Nostalgie in bezug auf den Osten und von Ausdauer und dem Aushalten, dem Ertragen in der Liebe. In MIR gab es Geschichten über das Alter, es war eher biografisch. In "I’m not the only one" fabriziere ich Archetypen und folge einer Matrix - aus dem, was als persönlich gilt. So ist die blonde Frau im Stück der Archetyp eines "midwestern girl", das sich in Europa und wie bei "The wizard of Oz" in den Tornados verliert, das Mädchen geht wie in vielen US-Kinofilmen den falschen Weg. "There is no place like home" ist ihr Lied. Die Figur der zweiten Frau arbeitet mit den Stereotypen im Westen gegenüber Asiatinnen. Dass sie arbeiten, arbeiten, arbeiten (lacht) und sich nicht wirklich integrieren.

dieStandard.at: Hat der am Dienstag beginnende zweite Teil von "I’m not the only one" auch so viel Text?
Constanza Macras: Im ersten Teil geht es um die Helden, die immer weggehen und einen verlassen. Wir konstruierten eine Saga des Heldentums bzw. unterschiedliche Versionen von Heldensagen. In einer echten Saga kannst du dich in Bezug zum Helden setzen. Wir mussten aufpassen, dass die Tanzelemente nicht zum Nummerntanz verkommen, sondern etwas über den Charakter der Figuren aussagen. Der zweite Teil handelt davon, sich fremd zu fühlen. Das Gefühl des Fremdseins, der Verfremdung. Darin steckt viel mehr Tanz, das kann man nicht mit Worten beschreiben. Da spielen nur Leute mit schwarzen Haaren mit, lauter "generische AusländerInnen". Das ist meine Gruppe (lacht). Es geht auch um puren Pathos, um die Ideen und Vorstellungen von Emotionen. Wie die ganzen Roma mit ihrem Akkordeon, die die Idee eines Zigeuners verkaufen. Da weiß man nie so genau, wann der Witz der "Bastardisierung" beginnt. Es geht um die Pseudo-Globalisierung. Leute sind immer schon gewandert und herum gezogen. Jetzt ist alles im Internet. Es gibt eine Beschleunigung der Kommunikation, die uns das Gefühl gibt, integriert zu sein. Sind wir aber nicht. Es gibt aber keine wirkliche Integration, nur Schichten der Ignoranz. Du weißt nichts vom anderen, fast nichts und manchmal ist es besser, gar nichts zu wissen (lacht), denn es gibt immer Missverständnisse. Es gibt schon genug Missverständnisse ohne Ausländerin zu sein... Wenn die Leute versuchen in bezug auf eine gewisse Kultur sensibel zu sein, ist es manchmal verletzender. Bei einem Workshop dachten Berlinerinnen z.B., alle muslimischen Frauen wären Vegetarierinnen, dabei gibt es in der Türkei wirklich viel Fleisch zu essen. Die Organisatorinnen waren enttäuscht. Was wirklich wichtig ist, ist das, was die Leute dir selbst erzählen, zu welchen Plätzen sie dich bringen. Sicherlich reduzieren wir, aber die einzige Chance auf Kommunikation ist, sensibel zu sein. In meiner Compangie sind alle AusländerInnen. Auch die Deutschen (lacht), auch für sie ist alles verschieden. Es gibt aber gewisse Tabus, die man nicht angreifen darf, meine koreanische Tänzerin wird z.B. niemals nackt tanzen.

dieStandard.at: Interessieren Sie sich für transkulturelle Elemente?
Constanza Macras: Die Entfremdung ist immer in uns, wir leben alle in einer Welt, die vorgibt globalisiert zu sein. Liebe, Trennung, Tod sind überall gleich. Der Bruch, der Einbruch, sein Zuhause zu verlassen, seine Liebe in zwei Teile zu zerbrechen und zu gehen, ist für alle gleich. Auch wenn du wieder zurück kommst, es wird nicht das Gleiche sein. Erfahrung und neues Wissen machen dich zu jemand anderen. Trotz universeller, transkultureller Elemente arbeite ich aber sehr persönlich mit meinen SchauspielerInnen, mit Charakteren und Situationen, die Leute sind für mich überhaupt nicht austauschbar.

dieStandard.at: Bleiben Emotionen in Zeiten der Globalisierung nicht noch sehr an der Oberfläche? Ein tiefes Gefühl und schnell wieder raus und weiter?
Constanza Macras: Die Idee der Tiefe, der tiefen Emotionen ist relativ, persönlich und genau. Du hast ein Problem, dein Freund macht Schluss und dann legst du den Hörer auf und gehst arbeiten. Du bist durcheinander, aber du gehst auf jeden Fall in die Arbeit. Tiefe Gefühle und wieder raus. Das ist nett, finde ich. Das ist das Leben. Dieses Drama trägt jeder. Kleine Gespräche, die eine Menge an Schmerz beinhalten, mag ich sehr gerne. Andeutungen des Leides im alltäglichen Leben. Das ist nicht so oberflächlich, das kann zwar trivialisiert wirken, aber die Leute sind verzweifelt und allein und lassen Bemerkungen fallen. TänzerInnen leben auch so ein Hardcore-Leben - kein Geld, keine Jobs, verschiedene Projekte in unterschiedlichen Ländern, immer wieder alles verlassen müssen. Ich will nicht die große Tiefe zeigen, sondern die Tiefe der Emotionen in kleinen Details. Die verbinde ich mit physischer Aggressivität, auf welche Weise die in das Innere der Leute geht. Auf der Bühne können sich die Leute gegenseitig hin und her ziehen, aber das ist nicht real. Im wirklichen Leben hüpfen die Menschen nicht so viel herum, oder sie sind verrückt.

dieStandard.at: Vielleicht sollten die mehr hüpfen?
Constanza Macras: Nein, die Leute hüpfen genug herum.

Das Gespräch führte Kerstin Kellermann.

Zur Kritik des Stücks siehe Tanz die globale Leere Termine und Karten unter www.schauspielhaus.at