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Hochzeit in der Türkei: Dass junge Mädchen auf Urlaub in die Heimat fahren und dort überfallsartig verheiratet werden, ist auch in Österreich nicht selten. 2006 hatte allein die NGO "Orient Express" in Wien 51 Fälle zu bearbeiten.
Foto: AP/PRAKASH HATVALNE
Allein bei einer Wiener NGO sind 50 bis 60 Zwangsehen pro Jahr bekannt. Die jungen türkischstämmigen Mädchen fahren in die Heimat auf Urlaub und werden dort überfallsartig verheiratet. Nach der Rückkehr brechen sie Ausbildung und Außenkontakte ab.

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Wien - Die Organisation "Orient Express" berät Migrantinnen. In den letzten Jahren ist man mit dem Phänomen Zwangsheirat vermehrt konfrontiert, sagt Mitarbeiterin Meltem Weiland: "Die Töchter von unseren Klientinnen haben nach der Sommerpause gesagt: 'Ja, ich war jetzt im Sommer in der Türkei, und jetzt bin ich verheiratet. Meine Eltern haben mich gezwungen zu heiraten.'"

Meltem Weiland, 31, in der Türkei geboren und mit einem Österreicher verheiratet, spricht von etwa 60 Fällen pro Jahr, die überhaupt bis zu "Orient Express" kommen. Entsprechend hoch ist die Dunkelziffer. Zwangsheirat sei, wenn "aus dem Nichts heraus über mich entschieden wird: Jetzt muss ich heiraten. Es gibt Mädchen, die hier schon etwas spüren oder die zu Hause mit den Eltern konfrontiert sind, die sagen: Diesen Sommer wirst du heiraten. Aber es gibt sehr viele Fälle, wo die Mädchen nichts wissen, davon erst im Heimatland erfahren. Sie fahren auf Urlaub, sie haben das Gefühl sie werden einen schönen Sommerurlaub verbringen, und irgendwann einmal steht wer da und sagt: Morgen musst du heiraten. Bei solchen Fällen ist die Hochzeit, das Fest schon organisiert. Wenn sie mal aus Österreich rausgebracht werden kann, dann ist es das Mädchen eigentlich schon verheiratet."

Sie wehren sich bis zum Schluss

Oft kehrt die Zwangsverheiratete dann wieder nach Österreich zurück, ihr Mann muss aber erst mit Familienzusammenführung hergeholt werden. Hier liegt die Chance für Intervention: "Man darf auch nicht vergessen: Mädchen, die sich wehren, wehren sich bis zum Schluss. Sie weigern sich die Ehe zu vollziehen, sie weigern sich, mit dem Mann ins Bett zu gehen. Sie werden gezwungen, mit dem Ehemann Sex zu haben. Das endet sehr oft mit Vergewaltigung. Wenn es darauf ankommt, sage ich das auch den Eltern. Warum beschönigen die Eltern diese Dinge? Es gibt Fälle, wo die Eltern vor der Tür warten und sagen: Jetzt gehst du rein und schläfst mit ihm. Und da frage ich mich, wie kann eine Mutter vor der Tür warten, bis die Tochter vergewaltigt wurde?" Eine wichtige Maßnahme ist daher, zu verhindern, dass der Ehemann durch Familienzusammenführung nach Österreich geholt wird: "Wir nehmen Kontakt zur Fremdenpolizei auf, zu den Konsulatabteilungen, den Heimatländern: Bitte kein Visum, das ist eine Zwangsheirat."

Inzwischen werden die Zwangsbräute anderswo untergebracht, sie müssen geschützt werden, "bis sich die Lage stabilisiert". Die von Bund und Gemeinde finanzierte NGO hat allerdings keine eigenen Unterbringungsmöglichkeiten. Eine andere Variante ist, dass Mädchen aus der Türkei geholt werden ("Importbräute"), um hier mehr oder weniger gegen ihren Willen verheiratet zu werden. Islamische Vertreter wie etwa der "Erste Imam" der offiziellen Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ali Eraslan, machen geltend, dass die Zwangsheirat mit dem Islam nichts zu tun hat, sondern mit Bräuchen einer patriarchalischen Gesellschaft.

Gesamtes Leben ändert sich

Die deutsch-türkische Autorin Necla Kelek bestreitet dies (siehe "Nicht kompatibel mit der Demokratie"). Jedenfalls sind diese Praktiken keine Einzelfälle. Mit der Zwangsverheiratung ist es ja nicht getan. Meltem Weiland: "Für Mädchen, egal ob Importbraut oder hier aufgewachsen, ändert sich ihr gesamtes Leben. Sie müssen die Ausbildung, die Schule abbrechen. Zuerst dürfen sie auch die Wohnung nicht verlassen. Da haben sie einen Ehemann, der gar nicht hier aufgewachsen ist, sondern nach seiner Kultur lebt. Da krachen auch zwei Welten zusammen, in dieser Ehe. Und da gibt es diese Importbräute, die von ihren Familien herausgerissen und hier in eine Wohnung gesteckt werden. Solche Importbräute sind auch oft Gewalt ausgesetzt. Der Ehemann, der auch gezwungen wurde, zu heiraten, führt sein Leben weiter. Er setzt sie zu der Schwiegermutter, sie wohnen alle gemeinsam, und er geht aus, hat weiterhin seine Freundin. Auf jeden Fall sind das Frauen, die die Wohnung nicht verlassen, keinen Deutschkurs besuchen dürfen, die in einem Land sind, wo sie orientierungslos sind und sich maximal zehn Kilometer im Umkreis der Wohnung bewegt haben. Diese Mädchen fragen sich: Wo bin ich überhaupt in Europa?"

Was sind die Gründe für Zwangsheirat? "Die Eltern wollen Verantwortung für die Zukunft ihrer Kinder übernehmen. Die Väter haben Angst um ihre Ehre. Ein Mädchen kann hier auf die Idee kommen, Sex zu haben. Dann ist die Ehre des Vaters ruiniert. Daher schauen die Eltern, die Töchter sehr jung zu verheiraten. Mit Ehemännern entweder aus dem Familienkreis oder vom selben Dorf, weil sie glauben, wenn sie wissen, wie der Junge aufgewachsen ist, wissen sie, dass er die Tochter gut behandeln wird." (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe 15.02.2007)