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Ein Beistand für Kinder, auch gegen den Willen der Eltern: Das ist die erste Antwort der Politik auf die Familientragödie in Oberösterreich.

Foto: dpa
Quelle: Statistik Austria/Grafik: Standard
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"In diesem Fall kommt die Kinderpatenschaft leider schon zu spät", bedauert Justizministerin Maria Berger (SPÖ). Mit "diesem Fall" meint die neue Ressortchefin die Tragödie jener Linzer Mutter, die ihre drei Töchter nach ihrer Scheidung jahrelang im Reihenhaus mehr oder weniger versteckt hielt. Der studierten Juristin, die mittlerweile in psychiatrischer Behandlung ist, gelang es, die Kinder ihrem geschiedenen Mann, der Jugendwohlfahrt und der Justiz zu entziehen (siehe Geschichte unten).

In Zukunft sollen solche tragischen Einzelfälle rechtzeitig – das heißt: schon während der Trennungsphase des Ehepaares – erkannt und verhindert werden. Dafür sorgen sollen so genannte "Kinderbeistände" im Obsorgeverfahren.

Die Idee dahinter ist simpel: Wenn sich ein Ehepaar trennt, haben zwar Mutter und Vater ihre jeweils eigenen Anwälte, die ihre Interessen vertreten. Aber wer spricht vor dem Familienrichter für den Nachwuchs, vor allem dann, wenn dessen Produzenten sich nicht einigen können und das Kind spätestens, wenn es um die Frage geht, wer die Obsorge übernimmt, Gefahr läuft, zum Spielball und Druckmittel des Rosenkrieges zu werden?

Andere Rollenbilder Längst sind die Zeiten vorbei, in denen sich Väter sich mit ihrer Rolle als "Nur-Besuchpapa" oder "Nur-Zahlvater" zufrieden geben. Immer öfter wollen sie auch nach der Trennung regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern. Seit 2001 gibt es die Möglichkeit der "gemeinsamen Obsorge", sprich: Beide Elternteile teilen sich die Aufsicht.

Etwas mehr als die Hälfte der geschiedenen Paare entscheidet sich für diesen konsensualen Weg. "Aber wenn die Frau sagt: 'Ich will diesen Mann aus meinem Leben raushaben', kann sie es ihm sehr schwer machen", meint Mediationsexpertin Christa Pelikan vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. "Mütter-Bonus" nennen das Kritiker.

Gleichzeitig ist eine Art neues "Väter-Bewusstsein" entstanden. Zahlreiche Organisationen kümmern sich um die "entrechteten Väter" – zuletzt auch die unter Schwarz-Blau geschaffene Männerabteilung im Sozialministerium. Eine der umstrittenen Galionsfiguren der Väterbewegung ist der sehr kämpferisch agierende Anwalt Günter Tews vom Verein für das Recht des Kindes auf beide Eltern, übrigens Ehemann von Margreth Tews, die sich als Sachwalterin um die drei jahrelang vernachlässigten Töchter der jetzt in die Schlagzeilen geratenen Linzer Mutter kümmert. "Diese Väter können ziemlich massiv auftreten", berichtet Forscherin Pelikan.

Alte Schmutzkisten

Der Gerichtssaal wird in solchen Fällen schnell zur Kampfzone. Das Scheidungsrecht mache dies "leider" noch immer möglich, ergänzt Franz Mauthner, Richter am Bezirksgericht Wien-Floridsdorf und zugleich auch Obmann der Fachgruppe Familienrichter.

Denn nach wie vor müsse der Richter bei Scheidungen "in der Schmutzkiste wühlen", da noch immer die "Frage der Schuld der Politik wichtiger ist, als die, wie es mit der Familie in Zukunft weitergeht". Im Hinblick auf das Wohl des Kindes sollte es ausschließlich um Letzteres gehen. "Mich als Richter interessiert es doch nicht, warum sich ein Paar trennt", meint Mauthner. Für das Kind sei schon allein die Tatsache, dass sich die Eltern scheiden, ein "Super-GAU".

Umso wichtiger sei es, generell den Kindern jemanden zur Seite zu stellen, der ihnen erklärt, was es heißt, wenn Mutter und Vater künftig getrennte Wege gehen.

Bisher gibt es das nur in Ausnahmefällen bei Rosenkriegen. Jetzt soll es gängige Praxis werden – auch, und das wird wohl noch für Diskussionen sorgen, wenn die Eltern das nicht gut finden. Justizministerin Berger zum Standard: "In solchen strittigen Situationen soll in Zukunft im Obsorgeverfahren ein Kinderbeistand vom Richter auch gegen den Willen der Eltern eingesetzt werden können."

Geht es nach dem Wunsch der roten Ressortchefin, soll noch vor dem Sommer ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden. Dafür zuständig ist gemäß großkoalitionärer Logik neben dem Justizressort Familienministerin Andrea Kdolsky (ÖVP), zu der die Familienagenden aus dem Sozialministerium gewandert sind.

Auch Kdolsky wird aktiv: Sie will Kontakt mit Bildungsministerin Claudia Schmied (SPÖ) und Ländervertretern aufnehmen, um die Informationsweitergabe zu verbessern. Kdolsky zum Standard: "Solche Fälle dürfen sich nicht wiederholen. Wenn Eltern ihre Kinder von der Schule abmelden, soll die Jugendwohlfahrt automatisch informiert werden."

Gute Erfahrungen Erste Erfahrungswerte mit den von Justizministerin Berger nun rasch angestrebten "Kinderpaten" gibt es jedenfalls bereits. Seit 1. Jänner 2006 läuft an vier Bezirksgerichten in Österreich ein Pilotprojekt – in Wien-Floridsdorf, Eisenstadt, Salzburg-Stadt und Bregenz.

Die Mediationsexpertin Pelikan begleitet dieses Projekt wissenschaftlich: "Unsere Untersuchung läuft langsamer an, als viele vielleicht gedacht haben. Das zeigt aber auch, dass der Alltag der Gerichte nicht von solch extremen Fällen dominiert ist." In Salzburg wurden für das Pilotprojekt zehn Mitarbeiter zu Kinderbeiständen ausgebildet, die seit dem Start zwölf Fälle betreuten. "Ganz wichtig ist der Punkt, dass der Begleiter nichts von den Kindern fordert, sondern deren Wünsche und Bedürfnisse eine Stimme gibt", erklärt die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaet.

Eingegriffen werde vom per Richter verordneten Begleit-Service dann auch in den unterschiedlichsten Bereichen. Holz-Dahrenstaet: "Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Kind gebeten hat, dass ein Elternteil am ersten Schultag dabei ist – wegen der Sitzordnung. Da versucht dann der Begleiter, die angesetzte Scheidungsverhandlung zu verschieben." (Markus Rohrhofer, Kerstin Scheller, Barbara Tóth/DER STANDARD-Printausgabe, 13.02.2007)