Tja, das waren noch Zeiten, als man bis zum Frühling warten musste, um es durch die Tulpe zu sagen. Der Lover der Neuzeit hat es da zweifellos wesentlich einfacher: Ob Tulpen oder Rosen, Veilchen oder Maiglöckchen, gleich welch Blümlein den Herzschlag der Angebeteten in Wallung bringen soll - in unserer globalisierten Welt ist die Wahl des floralen Vokabulars noch das geringste Problem. Saison ist immer! Was man will, das kriegt man - und seien es Tulpen aus Amsterdam.

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Gleichwohl liegt man völlig daneben, glaubt man, Lustwandler würden sich allein mit der generellen Verfügbarkeit eigentlich beschränkter Gaben der sie umgebenden Natur zufrieden stellen. Gerade die Beziehung Mensch-Blume oder, allgemeiner gefasst, Mensch-Vegetation belegt, dass wir die Distanz zu diesen wachsenden und blühenden Wundern nicht allein durch schnödes Aufstellen irgendwelcher Sträuße zu überwinden versuchen, sondern mittels einer Vielzahl szenischer und transformatorischer Techniken damit befasst sind, das Phänomen Pflanze in unserer gekastelten Welt dauerhaft anzusiedeln.
"Miss Blanche" von Shiro Kuramata

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Allerdings würde man Designern, Handwerkern und Ingenieuren Unrecht tun, würde man ihr Schaffen allein auf die naive Form der Wiedergabe zwischen Schmiedeeisengirlanden, Gänseblümchenkopfpolster und Blumentopf reduzieren, haben doch gerade diese Professionen immer wieder unter Beweis gestellt, dass die seriöse Auseinandersetzung mit Flora und Fauna viel mehr hergibt als dekorative Ziergitter. Betrachtet man die Kreationen der 1950er-Jahre ausschließlich unter dem Aspekt des artifiziellen Blütenzaubers, so muss man vor allem den Entwurf eines gewissen Günter Ssymmank aus dem Jahre 1959 hervorheben.

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Auch wenn diese, nach seinem Schöpfer benannte und von MAWA-Design bis heute produzierte Stehleuchte auf den ersten Blick wie die naturgetreue Nachbildung eines hochvergrößerten Buschwindröschens wirkt, handelt es sich hierbei um alles andere als Kitsch. Denn Ssymmank verwendete für seine Blüten nicht nur einen bis dato in Europa unbekannten Werkstoff - Polycarbonat -, seine Leuchte birgt auch mechanisches Raffinement. So sind die Blüten nicht nur verstell-, sondern auch austauschbar, und der grazile Stiel lässt die Leuchte auf jede noch so kleine Erschütterung im Raum reagieren.
Stehleuchte von Günter Ssymmank (1959)

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Nur ein Jahr später schuf Verner Panton den passenden Stuhl zu Ssymmanks Leuchte, den Adjustable Peacock Chair, einer Art Riesenblume, die aus einem zentralen runden und sechs lose darum herum gruppierten Kissen besteht. Technisch gesehen war diese Blumen-Pantonine zwar weit weniger raffiniert als Ssymmanks filigrane Blütenhommage, im Gesamtwerk von Panton jedoch markiert sie mit den etwa zur gleichen Zeit entstandenen Stühlen Cone und Heart Pantons Hinwendung zu einer expressiv, skulpturalen Designauffassung, die für diese Zeit emblematisch werden sollte.

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Es waren aber nicht nur die expressiven Verarbeitungsmöglichkeiten der sich ständig weiter entwickelnden Kunststoffmaterialien, die den Designern völlig neue Perspektiven der dreidimensionalen Formgebung boten. Zudem lenkte auch die von den Adepten der Hippiekultur proklamierte Flowerpower die Ideensuche in die vegetativen Wunderwelten. Und das wiederum hatte zur Folge, dass sich die mentalen Ausflüge ins Grüne nicht auf einen visuellen Genuss beschränkten.
"Morning Glory" von Aquagallery

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Es sind insbesondere zwei bis heute als programmatisch anzusehende Arbeiten, die sich nicht auf eine bloß motivische Interpretation beschränkten, sondern die überdies eine Art Psychogramm des gesellschaftlichen Habitus, des, seriös ausgedrückt, ungezwungenen Beisammenseins dieser Jahre im wahrsten Sinne des Wortes darstellten: Zum einen Archizooms Sitzlandschaft Safari von 1968, ein in einen flachen, weißen Kubus eingelassenes, eine Blüte beschreibendes Sofa, und das von der Gruppo Sturm und von Gufram produzierte Pratone (1966-1970), das man aufgrund seiner überdimensionierten, beweglichen "Grashalme" als das wohl zweitberühmteste "Rasenstück" der Kunstgeschichte bezeichnen kann.

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Von derart gesellschaftspolitischer Grundierung ist das Design unserer Tage, zumal das von Blumen inspirierte, weit entfernt. Das heißt nicht, dass man sich inzwischen von jeglicher Form einer theoretischen Referenz verabschiedet hätte. Im Gegenteil. Gleichwohl zielen die Fragen, mit denen sich das Design seit den Tagen von Memphis auseinandersetzt, eher nach innen, heißt: Das Design beschäftigt sich mehr mit den Internas als mit einer übergeordneten soziologischen Relevanz.
Leuchte "Cloud" von Frank O. Gehry

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Wie z. B. Shiro Kuramata, der sich in seinem Armlehnstuhl Miss Blanche (1989) sichtbar mit dem Thema Dekor bzw. Authentizität des Musters auseinandersetzte und eine verblüffende Alternative zu den üblichen zweidimensionalen Darstellungsmethoden schuf: Die kleinen, roten Papierblumen dieses fulminanten Entwurfs sind ganz einfach in das dickwandige, glasklare Acryl des Möbels eingeschweißt. Als weitaus schlichter, wenngleich ebenso spektakulär sind da die floralen Umwidmungen von Masanori Umeda anzusehen. Seine in Sessel umgewandelten Lilien und Rosen (1990) sind einfach nur schön - mehr aber auch nicht.

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Klar, dass sich auch heute nicht wenige Designer, wie etwa das Label "Aquagallery" auf diese "natürliche" Strahlkraft verlassen und sich, abgesehen von einer material bzw. dimensional bedingten Verfremdung, mit einer "porträtierenden" Wiedergabe des blumigen Vorbilds begnügen. Den aktuellen Boom jedoch begründet ein etwas subtilerer Zugang, den man im weitesten Sinne als impressionistische Reflexion auf die in der freien Natur wahrgenommenen Phänomene bezeichnen könnte.
Stehleuchte "L'Arbre à Reflets" von Matali Crasset

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Als prominenteste Beispiele wären hier neben den bekannten Blumenfreunden Marcel Wanders und Patricia Urquiloa (RONDO berichtete kürzlich) die nicht minder experimentierfreudigen Bouroullecs mit ihren von Vitra produzierten Algues oder aber Tord Boontje und seine flirrenden Pflanzenpanoramen zu nennen. Beide, sowohl die vielfältig zusammensteckbaren Kunststoffzweige der Bouroullecs als auch Boontjes scherenschnittige Be- und Verkleidungen faszinieren durch ihre Absage an jegliche Form einer naturalistischen Wiedergabe und, daraus resultierend, durch ihre enigmatische Abstraktion.

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Das gilt auch für die Leuchten Jingzi von Herzog & de Meuron oder die Cloud von Frank O. Gehry (beide Belux). Bei beiden handelt es sich deutlich um Formen aus der Natur - Knospen, Korallen, Schwämme etc. -, die, betrachtet man Gehrys "Wolken", nur durch den Namen spezifiziert werden - aber ebenso eine Blume, z. B. eine Nelke sein könnten. Etwas klarer ist die Sache hingegen bei Matali Crassets Bodenleuchte L'Arbre à Reflets:
"Rose Chair" von Masanori Umeda

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Sie ließ sich von einem gängigen Blumenstock samt Topf inspirieren. Bei den Blättern allerdings handelt es sich um kreisförmige, rote Spiegelflächen, die das im "Topf" installierte Licht in den Raum leiten - und das natürlich wesentlich faszinierender tun als die blankpolierten Flächen des guten, alten Gummibaums. Am weitesten jedoch setzt sich ein Entwurf aus Japan von den natürlichen Charaktermerkmalen ab: Wie die Agentur AFP berichtete, hat der Spielzeughersteller E-revolution eine sprechende Blume mit Namen Hanakotoba auf den Markt gebracht.

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Laut Meldung benutzt die Blume zwar kein einziges "schmutziges oder aggressives Wort", kann aber dennoch recht ungehalten werden. Merkt das Gerät, dass das Wasser knapp wird, schimpft das Pflänzlein wie ein Rohrspatz: "Komm schon, was trödelst du herum? Gib mir Wasser!" (Volker Albus/Der Standard/Rondo/09/02/2007)
"Anthurium" von Masanori Umeda

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