Orientierungssuche zwischen Globalisierung und Lokalisierung - Chris Burden: Beyond the Limits, MAK-Ausstellungshalle, 1996.

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Rüdiger Wischenbart: Traditionelle Fördermodelle hoffnungslos überfordert.

Der Autor ist Berater und Journalist mit Schwerpunkt Kultur, Buchmarkt und Medien. wischenbart.com

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Ein vielstimmiger Chor der Begehrlichkeiten begrüßte unlängst die neue, unbekannte Kulturministerin, doch klangen die Melodien ein bisschen wie das Echo aus einer fernen Zeit.

Erst traten die Vertreter der kulturellen Tanker vor, die zugleich die Fundamente der staatlich-kulturellen Identität repräsentieren. Höflich wie bestimmt pochten sie auf ihr Recht, auf anstehende Vertragsverlängerungen und längst angemeldete Budgetnachforderungen. Den katastrophischen Gegenchor prägten die ebenso vertrauten Warnrufe der KünstlerInnen, die seit je gewohnt sind, sich als Mahner und Rufer von weit draußen Gehör verschaffen zu müssen. Dazwischen war allerdings der Klang der Irritation unüberhörbar. Denn die neue Ministerin wie auch die (nicht ganz) neue Situation eines kombinierten Kultur-, Kunst- und Bildungs- (also "Identitäts"-) Ministeriums passten nicht so recht ins Bild.

Auch wenn hinter der Neuordnung der kulturellen Agenden vermutlich kein großer, geheimer Plan steckt, ist abzusehen, dass der Wechsel mit einer tieferen Zäsur zusammenfällt, und nach den Modellen "Kunst als Werkzeug der Modernisierung" bei Kreisky, Kunst als Ideologieressort bei Pasterk, "Kunst als Raum für offene Diskurse" bei Scholten, oder zuletzt Kultur statt Kunst als Heimatstoff bei Khol/Gehrer etwas tatsächlich Neues beginnt. Der entscheidende Anstoß dafür kam aber nicht aus der Politik, sondern aus dem kulturellen Leben.

Kunst und Kultur sind global geworden - und das meint nicht nur, dass im Rahmen des Mozart-Jahres rund ein Drittel des Wiener Budgets an ein Weltkulturfestival ging, inklusive Filmproduktionen in Malaiisch und Farsi. Der ganz alltägliche Kunst- und Kulturgenuss hat sich für die meisten mit aller Selbstverständlichkeit globalisiert, und dies mit höchst widersprüchlichen Folgen.

Bücher und Lesen sind dafür ein gutes Beispiel. Wer heute eine gut sortierte Buchhandlung betritt, findet viel häufiger fremdsprachige Titel als jemals zuvor. Der Anteil englischsprachiger Bücher im Original - und dazu noch von Übersetzungen aus dem Englischen - ist explosionsartig gewachsen. Teilweise stehen diese fremdsprachigen Bücher nicht mehr in der "Fremdsprachennische" sondern im ganz normalen Regal. Das ist ein erheblicher Zugewinn an Vielfalt und kultureller Offenheit - und doch erhöht sich daraus der Druck auf die heimische Produktion wie auf die kleinen Buchhandlungen, denn sie haben sich plötzlich in ganz neuen Konkurrenzen zu bewähren. Die Zuwächse bei Online-Buchhändlern, die von solcher Ausweitung und Internationalisierung am meisten profitieren, belegen, wie schwer wiegend diese Verschiebungen sind.

Michael Eisner, langjähriger Disney-Chef, meinte das gleiche Muster, nur auf den Film bezogen, als er dieser Tage in Wien formulierte: "Kinofilme der Zukunft werden sich an ein weltweites Publikum richten."

Am frühesten merkten den Umbruch alle - Konsumenten, Musikindustrie, Musiker - in der Unterhaltungsmusik: Nicht nur die Superstars sind weltweit präsenter denn je. Parallel zur Globalisierung hat sich eine neue Lokalisierung ausgebildet. Der Erfolg von "Musik von nebenan" ist die andere Seite der Globalisierung. Diese "Musik von nebenan" findet nicht nur über unbezahlte Downloads von Jugendlichen Gehör. Independent Bands experimentierten als erste mit den Vernetzungs- und Vermarktungsmöglichkeiten über das Internet als geniale Ausweitung der Mund- und Fan-Propaganda. Lokale und regionale kulturelle Angebote besetzen auch, neben den Groß-Sellern, die zweite, vielfältige Hälfte der kulturellen Märkte. Und plötzlich denken sogar die internationalen Musikkonzerne auf der Musikmesse Midem in Cannes über neue Bezahlmodelle für Musik nach, die erstaunlich nahe am Gebührenschema öffentlich-rechtlicher Medienanstalten angesiedelt sind.

Ähnliches gilt auch für Bücher (und wohl auch für Filme). Wer sich Bestsellerlisten quer durch Europa ansieht, mag erstaunt sein, wie neben den Mega-Titeln von Dan Brown über Harry Potter bis Paolo Coelho jeweils lokale Themen die Erfolgslisten prägen, und es gibt, infiziert vom schwedischen Mankell-Virus, kein Land mehr, in dem nicht ein paar lokale Kommissare überaus lokale Fälle lösen und ihr Publikum in Serie mitzureißen verstehen. Aber spätestens beim Thema Übersetzungen (und bei Filmen im Vertrieb) - also wiederum bei der Gewährleistung kultureller Vielfalt - erweisen sich die traditionellen Marktmodelle (aber auch die Fördermodelle) als hoffnungslos überfordert.

Allein die Kulturpolitik, so scheint es, ist über all dem bei ihren alten Gewissheiten und Werkzeugen geblieben. Kulturpolitik sei "Zukunftspolitik" (vgl. S 38), wird als Mantra stetig wiederholt, unberührt von der Alltagseinsicht, wie wenig absehbar und vor allem, wie widersprüchlich diese Zukunft ist. Die nur schlaglichtartig angedeuteten neuen Konkurrenzen oder das launische Publikum, das sich nicht mehr auf einheitliche nationale Identitätsanbote verpflichten lässt, werden nicht angesprochen.

Aus dem Umbruch sind jedoch auch neue Interessenskonflikte entstanden. Stichwort Urheberrecht: Wo kollidieren die schillernde Neugierde des Publikums mit den mittelständigen Verwertern und diese wiederum mit den Kreativen? Stichwort Kultur als Standortpolitik: Zwischen touristischen Kulturtankern und aktueller Kunstproduktion kann traditionelle Förderpolitik rasch zum banalen Nachvollziehen von Lobbying und Besitzständen verkommen. Stichwort Kultur als zentrales Feld der Integration: Die Spitzen von Politik, Kultur, Gesellschaft und Medien sind in Österreich immer noch nahezu frei von Migranten - und häufig genug auch von migrantischen Themen. Stichwort Bildung: Was die kulturellen Märkte wohl am wenigsten vermögen, ist, den langen Atem aufzubringen und zu finanzieren, um kulturelle Grundtechniken zuverlässig und breit an Kinder und Jugendliche heranzutragen. Dies aber kommt in der ganzen Schuldebatte (und bei Pisa) so gut wie gar nicht vor.

Eine der wichtigsten und schwierigsten Herausforderungen der Kulturpolitik ist deshalb, so banal es klingt, sich selbst neu zu erfinden, neue Prioritäten und neue Werkzeuge, also angemessene Ziele zu finden. (DER STANDARD, Printausgabe, 03./04.02.2007)