Falsches Werkzeug? - Bicole Six und Paul Petritsch: "Räumliche Maßnahme (1). Aus einer Serie von Versuchen den Raum zu öffnen", Videoarbeit, CAT OPEN 2002.

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MAK-Chef Peter Noever: Kunst darf nicht zum Business verkommen.

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Mit besten Empfehlungen an Claudia Schmied: Sind die nach Amtsantritt der Kulturministerin Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist - jedenfalls verkauft sie sich gerne so -, dann ist Kunst die Politik des Unmöglichen; was heute unmöglich scheint, ist das Mögliche von morgen, so lautet die Devise der Kunst. Im blinden Zwang der Verhältnisse haben Künstler die Pflicht zu träumen; als visionäre Zeitgenossen halten sie die Fähigkeit zur Utopie am Leben. Künstlerische Interventionen setzen der Welt Welten entgegen, unbequem, widerständig, radikal, aufs Ganze gehend, sie müssen in ihrer Kritik des Status quo die Grenzen des Erlaubten sprengen: Ein solcher Künstler ist das "schlechte Gewissen" seiner Zeit, der Deserteur jeder vermeintlichen Harmonie.

Wie ist es nun hierzulande um die Gegenwartskunst bestellt? "Volk, begnadet für das Schöne", so singt der österreichische Politiker, egal welcher Couleur, bei beliebigem Anlass voll Stolz. Aber fällt denn "das Schöne" vom Himmel? Sind Künstler vielleicht wie Kängurus imstande, mit leerem Beutel große Sprünge zu machen? Diese Fragen trüben des Politikers Hochgefühl, denn bezahlen will er für die Kunst so wenig wie möglich; für die Gegenwartskunst aber gilt: Aufgeschoben ist gleich aufgehoben. Es obliegt der Politik, die Gegenwartskunst - sprich das kulturelle Erbe von morgen - materiell zu ermöglichen. Die Betroffenen, welche alle paar Jahre ihr Kreuz machen, um es danach zu tragen, stellen jedoch ernüchtert fest: Allenthalben flieht die Politik ihre Verantwortung. Die Kunst wird den so genannten Sachzwängen des "freien" Marktes ausgeliefert. Bald ist Kunst zur Gänze nur noch die Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln, nur noch der Spielraum, den die Wirtschaft ihr zugesteht.

Die Marktgesetze zeitigen die notorische Logik der Profitmaximierung: Erlaubt ist, was gefällt, denn Gefälliges ist marktgängiger, zu Spekulationszwecken geeigneter. Wo die Politik umfällt, muss sich die Kunst zwangsläufig modischen Geschmacksdiktaten beugen. Das Schielen auf Medien- wie Publikumswirksamkeit lässt die Show zum Business verkommen mit augenfälligem Resultat: eine globale Mono-Kultur der endlosen Megaevents, Kunstmessen usw., eine banalisierte, trivialisierte, domestizierte Kunst.

Auch das rezente Museum trägt als Supermarkt der Beliebigkeiten, als Wellness-Center der Event- bzw. Spaßkultur gemeinhin ein trauriges Antlitz: "McMuseum's". Sollen auch noch die letzten Kunst-Reservate zur Filiale industrieller Massenunterhaltung werden? Künstler-Stars erzielen bei Auktionen Rekorderlöse, Prestigekunst wird vom Staat mit Riesenaufwand unterstützt, wogegen nichts einzuwenden wäre, müssten nicht zugleich unzählige Gegenwartskünstler von der "invisible hand" in den Mund leben und die angesichts ihrer "brotlosen" Kunst berechtigte Frage stellen: Gibt es ein Leben vor dem Tod?

Was auf dem Spiel steht, ist die Zukunft der Kunst bzw. die Kunst der Zukunft. Tendenzen, welche dem Gedeihen der Kunst abträglich sind, soll entschieden entgegengetreten werden; die Politik muss sich in Hinkunft klar zur zeitgenössischen Kunst bekennen, der Gegenwartskunst in all ihrem Tun einen hohe praktische Bedeutung beimessen und dieser vor allem materiell beistehen.

Gleichzeitig zeugte von Kulturlosigkeit, wenn der Staat oder Private sich inhaltliche Gegenleistungen für ihre Gelder erwarten, und von Konformismus, wenn Künstler dem in irgendeiner Weise entsprechen. Kunst kann gefördert, aber nie herbeiregiert werden. Es gilt, die Gesellschaft - zu ihrem eigenen Besten - auf allen Ebenen mit Gegenwartskunst zu durchfluten, doch steht zu befürchten, dass der Ruf nach mehr Ressourcen ungehört bleibt, weshalb "GegenwartsKunst in die Regierung" muss.

Künstler sollten am politischen Entscheidungsprozess partizipieren. Man stelle sich vor: ein Künstler als Verteidigungsminister; welch grandiosen Willen zum Novum, zur Humanität würde dies bezeugen. Ob ein Monsterministerium für Bildung und Kunst die Lage verbessert, bleibt ungewiss; gewiss ist, dass die Chance, Mut zum Experiment zu zeigen und ein eigenes Ministerium für Gegenwartskunst einzurichten, neuerlich vertan wurde.

Die Kunstproduktion hat sich in vielerlei Hinsicht radikal gewandelt, insbesondere ist sie raumintensiver und multimedialer geworden; doch kaum ein Museum zollt den veränderten Realitäten Tribut. Gegenwartskunst bedarf ihrer Komplexität (z.B. großräumige Installationen, grenzüberschreitende Skulpturen neben Malerei und "neuen Medien") und daher entsprechender Orte. Der letzte museale Paradigmenwechsel war der Bau des Centre Pompidou, welches heuer sein 30-jähriges Jubiläum begeht. Und doch, ein paar in letzter Zeit errichtete Kunstinstitutionen geben - international gesehen - Anlass zur Hoffnung, etwa das Dia:Beacon und das MoMA QNS in New York; dennoch stellen auch diese ihrem Gehalt nach nicht immer eine wirkliche Lösung dar. Die Entwicklung der Tate Modern in London bleibt abzuwarten.

Einige Flaggschiffe des globalen Museumsbetriebs kranken schon seit Längerem an einem kommerziell orientierten Expansionsdrang; sie verwechseln das Museum - zu dessen Leidwesen - mit einem transnationalen Konzern. Für den Flakturm im Wiener Arenbergpark existiert eine beispielgebende Lösung, die imstande ist, auch im internationalen Vergleich zu bestehen. Die Transformation des geschichtsträchtigen Bauwerks verkörpert ein Bekenntnis zur zeitgenössischen Kunst, eine unverwechselbare Alternative zum traditionellen Museum. Künstler werden vor Ort, unter Bezugnahme auf diesen und die Kultur des Landes ihre Werke realisieren. Die Chance, ein bislang brachliegendes Terrain in die urbane Lebenswelt einzubeziehen; ein Besuch bei der zeitgenössischen Kunst wird somit bald so normal sein wie ein Spaziergang im Park. Die Metamorphose dieses Ineinander von Geschichte und Gegenwart ist von einmaligem Reiz und hat wohl das Potenzial zum neuen Wiener Wahrzeichen. (DER STANDARD, Printausgabe, 03./04.02.2007)