Das Jahr 2006 war für den Irak kein gutes. Der politische Ertrag der Wahlen von 2005 und der Bildung der so genannten "Regierung der Nationalen Einheit" wurde durch den starken Anstieg der Gewalt verspielt. Weder die nationale Versöhnungsinitiative von Ministerpräsident Nuri al-Maliki noch der US-Sicherheitsplan "Together forward" haben funktioniert. Die neue US-Strategie verbindet nun militärische, diplomatische, politische und wirtschaftliche Aktionen und wird zeitgleich mit einem vom Irak erstellten Sicherheitsplan propagiert, der - so die irakische Ansicht - den Hauptgründen für das bisherige Scheitern des US-Plans besser Rechnung trägt. "Together forward" war zu defensiv, und es mangelte an Koordination zwischen Geheimdiensten und Sicherheitskräften, an einer Kommandoeinheit und der Verantwortlichkeit der irakischen Sicherheitskräfte, sowie an einem Mechanismus, den Bedürfnissen der Operation entsprechend die Ressourcen zu koordinieren und zu verteilen.

Auch der neue US-Plan hat einige strittige Aspekte. Erstens scheint er ein begrenzter Sicherheitsplan zu sein, im besten Fall die erste Phase einer Politik zur Aufstandsbekämpfung - anstelle einer langfristigen Strategie, um den Aufstand zu beenden. Ziele, Zeit und Operationsfeld sind beschränkt, die Mission lautet, in den nächsten Monaten die Gewalt in Bagdad zu reduzieren. Dennoch, auch die Iraker akzeptieren diese Beschränkung: Sie betonen seit langem, dass die Sicherheit in Bagdad der Schlüssel zum Erfolg ist, weil die Millionenstadt das Wirtschaftszentrum des Landes ist und weil sie im Mittelpunkt des Medieninteresses steht.

Beide, Amerikaner und Iraker, wollen schnelle Resultate. US-Präsident George W. Bush weiß, dass der Krieg unpopulär ist, er braucht eine Wende. Und der irakische Ministerpräsident erkennt, dass es nicht reicht, gewählt zu werden: Seine Regierung muss sich die Legitimität erst erwerben, indem sie den Irakern Sicherheit verschafft. Er selbst braucht eine Atempause, um andere kritische Aufgaben anzugehen. Und so setzt man eben darauf, dass sich der kurzfristige Plan mit einer langfristigen Antiaufstands-Politik nicht schlägt.

Aber es gibt noch andere problematische Aspekte. Der Plan sieht zweitens vor, weitere 21.000 US-Soldaten in die Region zu entsenden, die hauptsächlich in Bagdad zum Einsatz kommen werden. Die neuen Streitkräfte haben allerdings keine Ahnung von den komplexen Mustern der Gewalt in Bagdad, was möglicherweise neue feindselige Reaktionen unter der Bevölkerung hervorrufen könnte. Immerhin: Die Ankündigung einer US-Truppenaufstockung wurde im Irak bisher mit weniger Aufregung hingenommen als erwartet.

Drittens betonen die Amerikaner, dass die Truppen durch keine politischen Restriktionen gebunden sein dürfen. Das bezieht sich auf die Absicht, Säuberungsaktionen in Sadr City, der Hochburg der Mahdi-Armee von Muktada al-Sadr, durchzuführen.

Dazu muss man wissen: In Bagdad sind drei Gruppen in interkonfessionelle Gewalt involviert: Aufständische und Terroristen (Al-Kaida und andere), die Mahdi-Armee und einige kleinere sunnitische Milizen. Eine Säuberungsaktion in Sadr City mit seinen 2,5 Millionen Einwohnern würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer großen Konfrontation mit der Mahdi-Armee führen, deren nationale Stärke auf 60.000 geschätzt wird, damit die Ressourcen für den neuen Plan binden und seine Umsetzungsdauer verlängern. Da die Mahdi-Armee den Schiiten in Sadr City und anderswo nach ihrem Verständnis den Schutz vor den sunnitischen Aufständischen bietet, den ihnen die Regierung heute nicht geben kann, wird sie eine Säuberungsaktion zwangsläufig gegen diese Regierung aufbringen. - All das läuft einer vernünftigen Aufstandsbekämpfungspolitik zuwider.

Ein weiseres Vorgehen könnte darin bestehen, zuerst gründliche Säuberungsaktionen in umkämpften Stadtvierteln ("hot areas") durchzuführen und gleichzeitig mit gezielten, auf genauen Informationen basierenden Operationen gegen die Todesschwadronen beider Konfessionen vorzugehen. Die militärische Strategie müsste dabei ergänzt werden durch ein nachhaltiges politisches Bemühen, die laufende Mission den politischen Köpfen der Milizen auf beiden Seiten zu erklären und ihnen glaubwürdig zu vermitteln, dass man auf die Reintegration der Milizionäre in die Gesellschaft setzt.

Eine solchermaßen sorgfältig geplante und ausgeführte Kombination aus militärischer und politischer Aktion wäre eine Chance, eine offene Konfrontation mit den Milizen die den US-Plan als einseitig in Verruf bringen würde, zu verhindern. Und nur wenn das gelingt, kann die irakische Regierung die Milizen-Problematik auf beiden Seiten nachhaltig in den Griff kriegen - bis hin zu ihrer Entwaffnung.

Es gibt noch einen Punkt: Die diplomatische Initiative, die der US-Plan vorsieht, wurde von Außenministerin Condoleezza Rice eröffnet, die vor kurzem versuchte, Unterstützungszusagen der so genannten moderaten Staaten in der Region zu bekommen, in deren Interesse ein stabiler und geeinter Irak ist. Iran und Syrien wurden ausgenommen, dabei sind diese beiden Staaten die wichtigsten destabilisierenden Player im Irak ...

Mehr US-Militär am Golf wird jedenfalls nicht zur Beruhigung der Lage führen, sondern im Gegenteil die regionalen Spannungen erhöhen - und das könnte erst recht wieder zu mehr Gewalt im Irak führen. Ohne umfassenden Dialog der USA in der Region werden auch diplomatische und politischen Anstrengungen kaum etwas bringen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2007)