"Bei binationalen Ehen aber wird diese Autonomie des Privaten stark eingeschränkt. Es findet hier quasi eine Entmündigung statt – im krassen Gegensatz zu einem weiteren westlichen Ideal, dem autonomen Individuum."

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Bei binationalen Paaren greife der Staat massiv in die Privatsphäre ein, kritisiert der Sozialanthropologe Martin Slama im derStandard.at- Interview . Dass die Tendenzen zur Entmündigung insbesondere auf sozial Schwache und Frauen zielen, sei nichts Neues: Die angeblich universalen Werte der europäischen Moderne wurden immer wieder großen Teilen der Gesellschaft innerhalb und außerhalb Europas vorenthalten. Die Fragen stellte Heidi Weinhäupl.

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derStandard.at: Was sagen Sie zu der Entscheidung, dass die Chinesin Zou Youeying nicht in Österreich bei ihrem österreichischen Ehemann leben darf?

Slama: Hier greift die Öffentlichkeit, in dem Fall durch den Staat definiert, massiv in die Privatsphäre ein. Die Herausbildung einer relativ autonomen Sphäre des Privaten, bestehend aus der heute so gefeierten "Privatwirtschaft" und der ideologisch so stark aufgeladenen "Familie", ist ein Charakteristikum der westlichen, bürgerlichen Gesellschaft. Diese Entwicklung gehört sozusagen zum Sonderweg Europas, ist Teil der Moderne, die im 18. und 19. Jahrhundert ihre Form annahm und gleichzeitig aus Europa hinausgetragen wurde.

Bei binationalen Ehen aber wird diese Autonomie des Privaten stark eingeschränkt. Es findet hier quasi eine Entmündigung statt – im krassen Gegensatz zu einem weiteren westlichen Ideal, dem autonomen Individuum.

derStandard.at: Nun, das Heiraten selbst ist ja erlaubt.

Slama: Prinzipiell ja, doch durch die Einkommensgrenze für binationale Paare ist Privatheit in Österreich kein Recht mehr, das alle BürgerInnen beanspruchen können, sondern etwas, das man sich erst einmal erkaufen muss. In einer Gesellschaft, in der die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen noch immer beträchtlich sind, hat das natürlich abermals diskriminierende Folgen für Frauen. Das heißt: Sozial Schwache generell und Frauen insbesondere sind, was ihr Eheleben in Österreich betrifft, in ihrer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt.

derStandard.at: Tendenzen der Entmündigung zeigen sich auch in unseren Foren: Vor allem Frauen und Menschen mit niedrigem Bildungsgrad oder niedrigem Einkommen wird unterstellt, nicht zu wissen, was sie tun und sich ausnutzen zu lassen. Wer hingegen Geld hat, betont, wie wenig Probleme er – dies sind meist Männer - im Umgang mit dem Staat hat. Wie erklärt sich das aus wissenschaftlicher Sicht?

Slama: Ja, es wird hier, praktisch unbewusst, nach Geschlecht und sozialer Schichtung genau unterschieden. Auch das weist auf die Widersprüchlichkeit der europäischen Moderne hin: Es wurden Ideale produziert und Rechte formuliert, die als universal, also für die ganze Menschheit als gültig präsentiert wurden. Genau diese Rechte wurden dann aber ganzen Gruppen der Gesellschaft innerhalb Europas und den meisten Menschen außerhalb Europas vorenthalten. Bei binationalen Paaren wird das wieder aktuell. Betroffen sind auch heute wieder die Gruppen, die im Laufe der Geschichte Diskriminierungen besonders ausgesetzt waren: Frauen, sozial Schwache und Menschen von außerhalb Europas.

derStandard.at: Teil der europäischen Moderne sind aber auch die Aufklärung, Säkularisierung, das von Ihnen angesprochene autonome Individuum und die Liebe.

Slama: Aber selbst das Anführen der in Europa so idealisierten romantischen Liebe kann bei binationalen Paaren zu deren Nachteil umgekehrt werden. Das ist das von Ihnen angesprochene Klischee der durch Verliebtsein verwirrten InländerInnen und der berechnenden AusländerInnen. Bei inländischen Ehen hingegen ist die Liebesheirat das Ideal, über Einkommensunterschiede der Eheleute wird hinweggesehen. Zumindest würde dem Part mit dem geringeren Einkommen, meist der Frau, nicht automatisch Berechnung unterstellt werden.

derStandard.at: Nun ist ja Europa nicht der einzige Teil der Welt mit strengen Einwanderungsbestimmungen. Sie haben lange in Indonesien geforscht - wie stellt sich die Situation dort da?

Slama: Selbstverständlich sind auch außerhalb Europas Gesetze in Kraft, die für binationale Paare Schwierigkeiten mit sich bringen. Diese haben oft viel mit den postkolonialen Nationalismen in diesen Ländern zu tun. Konkret in Indonesien bekommen ausländische Frauen von indonesischen Staatsbürgern relativ problemlos Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, umgekehrt jedoch gilt dies nicht für ausländische Männer indonesischer Frauen. Der indonesische Staat nimmt also grundsätzlich an, dass eine indonesische Frau nach der Heirat in das Land ihres Mannes zieht.

derStandard.at: Aus welchen Traditionen heraus hat sich das entwickelt? Spielt hier der Islam eine Rolle?

Slama: Nein, das ist keine religiöse Frage, sondern hauptsächlich als Reaktion auf den Kolonialismus zu sehen: Die Kolonisatoren sollten nicht durch die Hintertür der Heirat wieder ins Land kommen. Die indonesische Nation wurde also als eine patrinilineare, der Abstammung des Mannes folgende, Gemeinschaft konstruiert. Das ist insofern beachtlich, als in Indonesien die Mehrzahl der Bevölkerung ihre Abstammung nicht nur über die Vaterlinie, sondern sowohl über die Vater- als auch über die Mutterlinie definiert.

derStandard.at: Wenn Kinder von Europäern als nicht-indonesisch betrachtet wurden und der Staat des Vaters sie nicht anerkannte waren sie doch staatenlos?

Slama: Ja, bis vor kurzem wurden Kinder von binationalen Paaren automatisch als StaatsbürgerInnen des Landes des ausländischen Mannes betrachtet. So mussten indonesische Frauen, deren Ehen geschieden wurden, für ihre Kinder, die ja ausländische StaatsbürgerInnen waren, um eine Aufenthaltsgenehmigung in Indonesien ansuchen. Aber das ist seit dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht, das letztes Jahr in Indonesien verabschiedet wurde, Geschichte. Die Kinder binationaler Ehen bekommen nun bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr eine Doppelstaatsbürgerschaft und müssen sich dann für oder gegen die indonesische Staatsbürgerschaft entscheiden.

derStandard.at: Können binationale Ehen in Indonesien auch über Religionsgrenzen hinweg geschlossen werden?

Slama: Nein – und das ist natürlich ein weiterer wichtiger Unterschied zur europäischen Situation. Seit den 1970er Jahren sind interreligiöse Heiraten in Indonesien praktisch unmöglich. Denn der indonesische Staat, der sich nicht im dem Maße als säkular definiert wie zum Beispiel der österreichische, erkennt nur Ehen an, die zuvor religiös geschlossen wurden. Das gilt natürlich auch für binationale Paare. Die Paare müssen sich also vor der Heirat für eine Religion entscheiden.

derStandard.at: Sind binationale Ehen in Indonesien ein häufiges Phänomen?

Slama: Im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern ist Indonesien heute kein Einwanderungsland, was die oben beschriebene Gesetzgebung zu den binationalen Ehen auch widerspiegelt. Indonesien hat jedoch eine lange Tradition von Migration, die hauptsächlich in der Kolonialzeit stattfand. Die EinwandererInnen kamen aus China, Indien und dem arabischen Raum. Gerade bei letzterer Gruppe der AraberInnen, die wir im Rahmen eines Projekts an der Forschungsstelle für Sozialanthropolgie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften untersuchen, wird deutlich, wie wichtig Heiraten in die lokale Mehrheitsgesellschaft für ihre Integration waren. Dieses Beispiel von Migration und interethnischen Heiraten von außerhalb Europas macht das Potential deutlich, das solche Verbindungen mit sich bringen. Binationale Paare leisten nämlich eine Menge Integrationsarbeit, ein Aspekt, der oft vollkommen verkannt wird. (derStandard.at, 15.2.2007)