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Nur wenige Kilometer von der Stadt liegen die beiden Skigebiete Bjelasnica und Jahorina, in denen wohl auch die sichtbaren Spuren der 80er-Jahre bald nur mehr Geschichte sein werden.

Foto: dpa/Rolf Haid
Ein paar Quadratmeter Balkanklischee gibt es noch, nahe der Sesselliftstation, am Fuß des steilen Hangs. Mitten im Schnee steht hier - neben einer Imbissbude - ein Baucontainer. Drinnen sitzen Leute mit Skischuhen an Tischen vor üppigen Portionen Cevapcici. Aus großen Lautsprechern plärrt Discomusik und übertönt den rumpelnden Heizlüfter. An den Wänden hängen Strohmatten und beschwören ein karibisches Ambiente in diesem behelfsmäßigen Speisesaal, den der Imbissbudenbesitzer geschaffen hat, um noch ein wenig teilzuhaben am Aufschwung, bis hier nichts Provisorisches, Stilloses mehr geduldet wird.

Denn es geht wieder aufwärts, am Bjelasnica, dem Ort der olympischen Herrenabfahrt von 1984. Nach über zehn Jahren sind endlich alle Lifte repariert. Sogar der bis zuletzt ramponierte Sessellift, der knapp unterhalb des 2067 Meter hohen Gipfels endet. 1993 hatten Einheiten der bosnischen Serben die Transportanlagen sowie drei Hotels und das olympische Pressezentrum zerstört. Wochenlang hatten sie am Bjelasnica in Stellung gelegen, die Granatwerfer auf die Olympiastadt im Tal gerichtet, und als sie schließlich abzogen, war Sarajewos alpines Mekka nur noch ein Haufen Schutt.

Den olympischen Abfahrtslauf gewann seinerzeit ein Amerikaner vor einem Schweizer und einem Österreicher. Jetzt machen die Deutschen hier das Rennen. Und die Spanier. Und die anderen in Bosnien stationierten Eufor- und Nato-Soldaten, die in ihrer Freizeit zum Skifahren herauf kommen. Außer ihnen und den Einheimischen gibt es am Bjelasnica bislang nur einige Skitouristen aus Kroatien und der Türkei. Doch das soll sich nun ändern.

Fenster und Läden neu

Der Hang gegenüber der Abfahrtsstrecke wird derzeit bebaut. Zwei chaletartige Appartementgebäude stehen schon, und davor zwei Zeilen Reihenhäuser in bosnischem Landhausstil mit Fensterläden und hölzernen Dachschindeln. Weitere Gebäude sind geplant, auch Hotels und Geschäfte.

Sarajewo erholt sich allmählich vom Krieg, von der Belagerung, die zwischen 1992 und 1995 Tod und Zerstörung brachte. Inzwischen ist die Altstadt mit dem Basarviertel, den Edel-Boutiquen und Szene-Cafés wieder voller Leben. Vor allem im Sommer. Jetzt besinnt sich die Stadt auch ihrer Wintersporttradition und der olympischen Vergangenheit. 25 Kilometer sind es vom Stadtzentrum bis zum Bjelasnica. Vom Vorort Ilidza fährt ein Linienbus die gut befestigten Serpentinen hinauf und immer tiefer in die Berglandschaft hinein. In etwa 1000 Meter Höhe hält er auf dem Berg Igman, auf dem 1984 die nordischen Wettkämpfe ausgetragen wurden.

Kriegsbeschädigt und seit Jahren unbenutzt stehen die beiden Olympiaschanzen an einem bewaldeten Hang. Ein Paar ausrangierter Betonstilettos. Nur Namen schwirren hier noch herum: "Nykänen", "Weißflog" und "Primoz Ulaga", so hieß der hochgehandelte Jugoslawe, den es verwehte, damals, vor 50.000 entsetzten Zuschauern. Das waren noch Kümmernisse.

Heute ragen am Straßenrand die Grundmauern eines zerstörten Hotels aus dem Schnee. Am Igman gibt es keine Unterkünfte mehr. Trotzdem kommen die Menschen aus Sarajewo und dem Umland inzwischen wieder herauf. Für einen Tag. Auch im Winter. Denn die olympischen Loipen sind wieder gespurt und die Schlepplifte an den flachen Anfängerpisten wieder in Betrieb. Eine Jugendherberge ist in Planung.

80er-Jahre-Revival

Am Bjelasnica ist man schon weiter. Seit fünf Jahren bietet hier das Hotel Marschal wieder ein Nachtquartier. Das "Marschal" war eines der drei Hotels, die anlässlich der Winterspiele am Bjelasnica errichtet wurden. Als einziges ist es aus den Ruinen auferstanden. Und mit ihm der Charme der 80er-Jahre. Es gibt einen Partykeller mit Discokugel, Töpfe mit Ficus benjamina in der Lobby und in den Zimmern pink-lila-gemusterte Tagesdecken. Viele der im Lande tätigen internationalen Organisationen nutzen das Hotel für Seminare und Tagungen. Aber auch Sarajewos Jetset trifft sich hier. Vor dem Gebäude steht eine Flotte dunkler Geländewagen aus deutscher Produktion, der Fuhrpark kräftiger Männer mittleren Alters mit schwarzen Lederjacken und einem Gefolge junger Damen.

Einige dieser Damen und Herren kommen auch zu Pascha Grbo. Während der Olympischen Spiele war Grbo Chef des Sicherheitsdienstes am Bjelasnica. Heute leitet er die Bergwacht. Und seit 1998 auch eine Skischule, deren Büro sich im Hotel Marschal befindet. Seit letzter Saison bietet Grbo auch Kurse für Erwachsene an. Auch das, sagt er, sei eine Folge des Krieges und der Belagerung Sarajewos. "Mich bitten jetzt Leute um Unterricht, die als Jugendliche drei Jahre lang in der Stadt eingeschlossen waren." Und nicht hinauf konnten in die Berge, um Skifahren zu lernen.

Über die Schneegrenze

Mit dem Skigebiet am Bjelasnica gibt es für Sarajewos Bewohner jetzt eine Alternative zu den olympischen Pisten am Berg Jahorina. Der liegt ähnlich weit von der Stadt entfernt, allerdings in der Republika Srpska, dem serbischen Teil Bosnien-Herzegowinas. Kriegsschäden hat es dort nicht gegeben. Doch lange Zeit mieden viele Bewohner Sarajewos das Skigebiet im ehemaligen Feindesland. Inzwischen ist das anders. Jahorina oder Bjelasnica? Das sei, sagt Pascha Grbo, für die meisten skifahrenden Bosnier heute keine Frage der politischen Verhältnisse mehr. Sondern lediglich eine Frage der Schneeverhältnisse. (Dominik Fehrmann/Der Standard/Printausgabe/27./28.1.2007)