Denn es geht wieder aufwärts, am Bjelasnica, dem Ort der olympischen Herrenabfahrt von 1984. Nach über zehn Jahren sind endlich alle Lifte repariert. Sogar der bis zuletzt ramponierte Sessellift, der knapp unterhalb des 2067 Meter hohen Gipfels endet. 1993 hatten Einheiten der bosnischen Serben die Transportanlagen sowie drei Hotels und das olympische Pressezentrum zerstört. Wochenlang hatten sie am Bjelasnica in Stellung gelegen, die Granatwerfer auf die Olympiastadt im Tal gerichtet, und als sie schließlich abzogen, war Sarajewos alpines Mekka nur noch ein Haufen Schutt.
Den olympischen Abfahrtslauf gewann seinerzeit ein Amerikaner vor einem Schweizer und einem Österreicher. Jetzt machen die Deutschen hier das Rennen. Und die Spanier. Und die anderen in Bosnien stationierten Eufor- und Nato-Soldaten, die in ihrer Freizeit zum Skifahren herauf kommen. Außer ihnen und den Einheimischen gibt es am Bjelasnica bislang nur einige Skitouristen aus Kroatien und der Türkei. Doch das soll sich nun ändern.
Fenster und Läden neu
Der Hang gegenüber der Abfahrtsstrecke wird derzeit bebaut. Zwei chaletartige Appartementgebäude stehen schon, und davor zwei Zeilen Reihenhäuser in bosnischem Landhausstil mit Fensterläden und hölzernen Dachschindeln. Weitere Gebäude sind geplant, auch Hotels und Geschäfte.
Sarajewo erholt sich allmählich vom Krieg, von der Belagerung, die zwischen 1992 und 1995 Tod und Zerstörung brachte. Inzwischen ist die Altstadt mit dem Basarviertel, den Edel-Boutiquen und Szene-Cafés wieder voller Leben. Vor allem im Sommer. Jetzt besinnt sich die Stadt auch ihrer Wintersporttradition und der olympischen Vergangenheit. 25 Kilometer sind es vom Stadtzentrum bis zum Bjelasnica. Vom Vorort Ilidza fährt ein Linienbus die gut befestigten Serpentinen hinauf und immer tiefer in die Berglandschaft hinein. In etwa 1000 Meter Höhe hält er auf dem Berg Igman, auf dem 1984 die nordischen Wettkämpfe ausgetragen wurden.
Kriegsbeschädigt und seit Jahren unbenutzt stehen die beiden Olympiaschanzen an einem bewaldeten Hang. Ein Paar ausrangierter Betonstilettos. Nur Namen schwirren hier noch herum: "Nykänen", "Weißflog" und "Primoz Ulaga", so hieß der hochgehandelte Jugoslawe, den es verwehte, damals, vor 50.000 entsetzten Zuschauern. Das waren noch Kümmernisse.
Heute ragen am Straßenrand die Grundmauern eines zerstörten Hotels aus dem Schnee. Am Igman gibt es keine Unterkünfte mehr. Trotzdem kommen die Menschen aus Sarajewo und dem Umland inzwischen wieder herauf. Für einen Tag. Auch im Winter. Denn die olympischen Loipen sind wieder gespurt und die Schlepplifte an den flachen Anfängerpisten wieder in Betrieb. Eine Jugendherberge ist in Planung.
80er-Jahre-Revival
Am Bjelasnica ist man schon weiter. Seit fünf Jahren bietet hier das Hotel Marschal wieder ein Nachtquartier. Das "Marschal" war eines der drei Hotels, die anlässlich der Winterspiele am Bjelasnica errichtet wurden. Als einziges ist es aus den Ruinen auferstanden. Und mit ihm der Charme der 80er-Jahre. Es gibt einen Partykeller mit Discokugel, Töpfe mit Ficus benjamina in der Lobby und in den Zimmern pink-lila-gemusterte Tagesdecken. Viele der im Lande tätigen internationalen Organisationen nutzen das Hotel für Seminare und Tagungen. Aber auch Sarajewos Jetset trifft sich hier. Vor dem Gebäude steht eine Flotte dunkler Geländewagen aus deutscher Produktion, der Fuhrpark kräftiger Männer mittleren Alters mit schwarzen Lederjacken und einem Gefolge junger Damen.
Einige dieser Damen und Herren kommen auch zu Pascha Grbo. Während der Olympischen Spiele war Grbo Chef des Sicherheitsdienstes am Bjelasnica. Heute leitet er die Bergwacht. Und seit 1998 auch eine Skischule, deren Büro sich im Hotel Marschal befindet. Seit letzter Saison bietet Grbo auch Kurse für Erwachsene an. Auch das, sagt er, sei eine Folge des Krieges und der Belagerung Sarajewos. "Mich bitten jetzt Leute um Unterricht, die als Jugendliche drei Jahre lang in der Stadt eingeschlossen waren." Und nicht hinauf konnten in die Berge, um Skifahren zu lernen.
Über die Schneegrenze