Schulev-Steindl: "Der entscheidende Punkt der vorliegenden Problematik dürfte letztlich in einer europa- bzw integrationspolitischen Grundsatzfrage liegen. Nämlich darin, ob die Kommission bzw in der Folge der EuGH bereit sind, weiterhin eine gewisse nationale Autonomie und Autarkie im universitären Bildungswesen anzuerkennen."

Foto: Carina Ott
I. Mahnbrief der Kommission

Der freie Hochschulzugang gilt in Österreich vielfach als bildungspolitische „heilige Kuh“– das zeigen die jüngsten Turbulenzen um die Studiengebühren sehr deutlich. Nun ist er auch von anderer, nämlich europäischer Seite verstärkt unter Druck geraten. Wie am Mittwoch offiziell bekannt wurde, ist aus Brüssel im Vorfeld eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens ein Mahnbrief der Europäischen Kommission nach Österreich unterwegs.

Österreich wird darin vorgeworfen, EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten beim Unizugang zu diskriminieren. Und zwar indem das Universitätsgesetz 2002 (§ 124b Abs 5 UG) für bestimmte Studiengänge vorsieht, dass 75 % der Plätze für Studienanfänger reserviert werden können, die ihr Reifeprüfungszeugnis in Österreich erworben haben. Weitere 20 % sind anderen Studierenden aus der EU vorzubehalten, die restlichen 5 % Studienbewerbern aus Drittländern. Gebrauch gemacht wurde von dieser Ermächtigung per Verordnung bislang für die Fächer Medizin und Zahnmedizin.

Diese Regelung knüpft zwar nicht direkt an die Staatsbürgerschaft an, trifft aber doch in der Praxis überwiegend nichtösterreichische EU-Bürger nachteilig. Damit liegt eine so genannte mittelbare Diskriminierung von Unionsbürgern vor, die europarechtlich vor allem durch Art 12 EG-Vertrag verpönt ist.

II. Vorgeschichte

Österreich trifft dieser Diskriminierungsvorwurf nicht unerwartet: Bekanntlich hat der Europäische Gerichtshof Österreich schon im Juli 2005 (Urteil vom 7.7. 2005 Rs C-147/03) diesbezüglich verurteilt. Er qualifizierte die Regelung (§ 65 UG), wonach Studienbewerber mit ausländischem Reifezeugnis für den Zugang zur Universität die Studienberechtigung im Heimatstaat nachweisen müssen, als eine mittelbare Diskriminierung nichtösterreichischer EU-Bürger. Seither darf die Bestimmung auf EU-Bürger nicht mehr angewendet werden. Die von Österreich vorgebrachten Rechtfertigungsgründe hat der EuGH in diesem Verfahren allesamt verworfen. Insbesondere hat er das Argument, durch einen übergroßen Zustrom Studierender aus anderen Mitgliedstaaten (vor allem von „Numerus-Clausus-Flüchtlingen“ aus Deutschland) würde der Staatshaushalt überlastet bzw das österreichische Hochschulsystem gefährdet, nicht gelten lassen.

Die Folgen des Urteils sind bekannt: Bereits einen Tag danach setzte der befürchtete Ansturm auf die heimischen Universitäten ein. Ebenso rasch reagierte der Gesetzgeber und ermächtigte in einer Novelle zum UG (§ 124b) die Universitäten, den Zugang zu bestimmten Studien durch Zulassungsverfahren zu beschränken. Diese Verfahren, die auf Österreicher wie andere EU-Bürger gleichermaßen anwendbar sind, brachten freilich nur bedingt Erfolg – vor allem im Fach Medizin. Wegen des starken Zustroms deutscher Studierender im diesem Bereich ist der Anteil der Studienanfänger aus Österreich an den Medizinischen Universitäten von Innsbruck und Graz von 73% auf 50 % bzw von 91% auf 44 % gesunken. Der Gesetzgeber hat daraufhin neuerlich die „Notbremse“ gezogen und mit Wirksamkeit vom Wintersemester 2006/07 die jetzt von der Kommission beanstandete Quotenregelung vorgesehen.

III. „Follow up“

Das von der Kommission am Mittwoch versandte Mahnschreiben bildet nun nicht etwa den Auftakt zu einem neuen Vertragsverletzungsverfahren. Es stützt sich vielmehr auf Art 228 EG-Vertrag und rügt, dass Österreich seine Verpflichtungen aus dem EuGH-Urteil von 2005 nicht entsprechend erfüllt hat. Die für Österreich heikle Konsequenz dieser Verfahrensart liegt darin, dass – sollte der Gerichtshof der Ansicht der Kommission in einem zweiten Urteil folgen – nicht unbeträchtliche finanzielle Strafen für Österreich zu befürchten sind. Möglich sind dabei Geldbußen von bis zu 150.000 Euro pro Tag.

IV. Prognosen

Wie stehen nun die Chancen für Österreich? – Noch sollten die Hoffnungen, dass die hochschulpolitischen Probleme unseres Landes Gnade vor den Augen von Kommission bzw EuGH finden könnten, nicht ganz aufgegeben werden. Sie liegen, da der mittelbar diskriminierende Charakter der Quotierung nicht wegzudiskutieren ist, auf der Ebene der Rechtfertigung. Dies vor allem dann, wenn man die Argumente des EuGH in seinem Urteil aus 2005 für bare Münze nehmen darf. Meinte er doch, die Beschränkung des Hochschulzugangs für Nichtösterreicher sei deshalb ungerechtfertigt, weil sie vor allem vorbeugenden Charakter hätte und Österreich nicht habe nachweisen können, dass sein Hochschulsystem, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, konkret gefährdet sei.

Mittlerweile gibt es aber einschlägige empirische Erfahrungen. Und diese zeigen, dass der österreichische Steuerzahler europarechtlich gezwungen ist, zu einem erheblichen Teil die Ausbildung Studierender aus anderen EU-Ländern an heimischen Universitäten zu finanzieren. Es wird daher im kommenden Verfahren wesentlich darum gehen, Österreichs Argumente mit Zahlen und Daten möglichst gut zu fundieren! Auch kann darauf verwiesen werden, dass die Beschränkung nur befristet bis Ende 2007 und damit sozusagen bloß probeweise erlassen wurde (§ 143 Abs 11 UG).

Das vom Gesetzgeber selbst in § 124b Abs 5 UG ausdrücklich angesprochene Argument, die Regelung würde dazu dienen, die Gesundheit und die ärztliche Versorgung der Bevölkerung zu sichern, erscheint dagegen weniger tragfähig. Wieso sollte – lässt sich einwenden – eine qualitätsvolle ärztliche Versorgung nur durch Studienabsolventen mit österreichischer Matura, nicht aber auch durch solche mit zB deutschem Abitur sichergestellt werden können? Auch wäre zu prüfen, ob der häufig vorgebrachte Einwand, Studierende aus anderen EU-Ländern würden nach Studienende wiederum in ihre Heimatländer zurückkehren und gingen so für den österreichischen Arbeitsmarkt verloren, tatsächlich gerechtfertigt ist.

Die in diesem Zusammenhang angedachten Möglichkeiten, Absolventen nach Abschluss des Studiums dazu zu verpflichten, mehrere Jahre in Österreich als Ärzte zu arbeiten, sind jedenfalls im Hinblick auf die europarechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw Niederlassungsfreiheit nicht unbedenklich. Wie auch immer: Der entscheidende Punkt der vorliegenden Problematik dürfte letztlich in einer europa- bzw integrationspolitischen Grundsatzfrage liegen. Nämlich darin, ob die Kommission bzw in der Folge der EuGH bereit sind, weiterhin eine gewisse nationale Autonomie und Autarkie im universitären Bildungswesen anzuerkennen, oder ob sie gewillt sind, diesen Bereich bedingungslos zu einer gesamteuropäischen Angelegenheit zu machen.

Im ersten Fall müsste, wenn es sachlich gerechtfertigt werden kann, weiterhin eine gewisse Unterscheidung zwischen in- und ausländischen EU-Bürgern beim Hochschulzugang möglich sein. Im zweiten Fall wären die Staaten gezwungen, ihre Universitäten zu rechtlich völlig gleichen Bedingungen für alle Studierenden aus EU-Ländern zu öffnen. Sie dürften dann freilich auch mit den sich daraus ergebenden Problemen von Europa nicht gleichsam „im Regen stehen gelassen werden“ – etwa wäre diesfalls ein gewisser finanzieller Ausgleich auf gesamteuropäischer Ebene nur logische Konsequenz! (Eva Schulev-Steindl/derStandard.at, 25.1.2007)