Günter R. Koch ortet strukturelle Defizite in der angewandten IT-Forschung. Die derzeitige Krise in den Austrian Research Centers Seibersdorf würde das nachdrücklich beweisen.

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"Es könnte passieren, dass Forschungsorganisationen wie die Fraunhofer-Gesellschaft Österreich überrollen werden." Günter R. Koch, der ehemalige Geschäftsführer in Seibersdorf, leitet seit Kurzem das Central European Institute of Technology in Schwechat. Klaus Taschwer sprach mit dem Pionier der Wissensbilanzierung über den Ist-Zustand der Forschungspolitik und die Lage der Unis.


Standard: Wie schätzen Sie am Beginn der neuen Legislaturperiode die forschungspolitische Situation Österreichs ein?
Koch: In den vergangenen Jahren hat es sicherlich einige Fortschritte geben: Vor allem durch die Einrichtung des Rats für Forschung- und Technologieentwicklung und die Bereitstellung entsprechender Mittel in Sachen Forschung und Entwicklung ist relativ viel bewegt worden. Zudem kam es durch die Einrichtung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) und des Austria Wirtschaftsservice (AWS) zu einer sinnvollen Bündelung der Forschungsagenden. Die Stärkung des Wissenschaftsfonds FWF wäre sicher auch auf der Haben-Seite zu verbuchen ...

Standard: ... und auf der Soll-Seite?
Koch: ... da gibt es meiner _Meinung nach strukturelle Defizite bei den Informations- und Kommunikationstechnologien und im Bereich der angewandten Forschung. Was nicht zuletzt auch mit der Krise der Austrian Research Centers Seibersdorf zusammenhängt. Grundsätzlich fehlt in Österreich halt so etwas wie die Fraunhofer-Gesellschaft in Deutschland.

Standard: Ist das schlimm?
Koch: Ich weiß aus Gesprächen mit den Präsidenten solcher großer Forschungsorganisationen, dass die ihre jeweiligen Wachstumsgrenzen erreicht haben und über die nationalen Grenzen hinaus expandieren. Es könnte durchaus passieren, dass in Zukunft international gut aufgestellte Forschungsorganisationen wie eben die Fraunhofer-Gesellschaft Österreich überrollen werden.

Standard: Glauben Sie das wirklich?
Koch: Die Zersplitterung der angewandten Forschungsszene in Österreich ist da eindeutig ein Konkurrenznachteil und macht das Land strukturell anfällig dafür. Ich halte es durchaus für möglich, dass die Fraunhofer-Gesellschaft in zehn bis zwanzig Jahren in Österreich so präsent ist wie in Deutschland.

Standard: Die Regierung hat die F-&-E-Agenden auf drei Ministerien verteilt. Ist das klug?
Koch: Aus der Sicht eines Forschungsmanagers würde ich sagen, dass das für die Institutionen, die Forschungsmittel beantragen, nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Wenn man bei einem keinen Erfolg hat, kann man immer noch zum anderen gehen. Der FWF im Infrastrukturministerium ressortiert eindeutig falsch.

Standard: Sie haben sich um das Rektorat der Universität Wien beworben und vergangene Woche auch Ihre Pläne präsentiert: Wie schätzen Sie die Situation der Unis ein?
Koch: Am UG 2002 kann man sicher noch nachbessern, weil die Autonomie nicht konsequent durchgezogen wurde. Achtzig Prozent der Mittel etwa der Uni Wien kommen weiterhin direkt vom Ministerium, dem die Universitäten durch Leistungsvereinbarungen eng verbunden sind. Die Kontrollmechanismen zwischen den Unis und dem Ministerium sollte man in Zukunft jedenfalls etwas großzügiger gestalten als bisher.

Standard: Sie haben als damaliger Geschäftsführer der Austrian Research Centers Seibersdorf in Österreich das Instrument der Wissensbilanz eingeführt, das mittlerweile auch die Universitäten und die Österreichische Akademie der Wissenschaften verwenden. Was bringt dieses Instrument?
Koch: Den Universitäten wurde das – im Gegensatz zur Akademie – ja verordnet. Und das ist immer problematisch. Außerdem gibt es da auch noch einige Missverständnisse. Die Universität Wien hat in ihrer Wissensbilanz unter dem Begriff Strukturkapital bloß einige Kennziffern angeführt, die sich auf Immobilien beziehen, was eine Fehlinterpretation ist. Also man merkt, dass man das an den Unis nicht gerade mit großer Begeisterung macht. Was schade ist, weil es so kaum etwas bringt.

Standard: Was könnte dieses Instrument den Universitäten bringen?
Koch: Ich denke, dass Wissensbilanzen viel stärker Hilfsmittel zur Selbstcharakterisierung der jeweiligen Universität sein sollten, um die Differenzen der Universitäten zu den jeweils anderen zu beschreiben und eigene Zukunftsstrategien herauszuarbeiten. Aber gerade das wird vom Ministerium nicht gewünscht, das vergleichbare Kennzahlen haben will.

Standard: Einige Länder betreiben Wissensbilanzen auf nationaler Ebene. Was erwartet man sich davon?
Koch: Grundsätzlich dienen all diese Wissensbilanzen vor allem dazu, zu einer echten Bewertung von Wissen in Unternehmen und Organisationen zu kommen. Die Länder, die so etwas betreiben, haben unterschiedliche Motive. Die Dänen wollten damit ihren Firmen bei der "Dematerialisierung" ihrer Geschäfte helfen, also beim Umstieg von einer Güter- und Dienstleistungsproduktion. In Deutschland war es eher ein Mittel zur Formulierung von Strategie. In Israel wiederum verwendete man die Wissensbilanz eigentlich als eine Art nationaler Analyse.

Standard: Was hat es eigentlich mit dem Central European Institute of Technology auf sich, Ihrem jüngsten Projekt, das Sie seit dem Vorjahr managen? Koch: Das CEIT ist tatsächlich eine sehr neue Gründung direkt am Flughafen Schwechat und steckt zugegeben noch in den Kinderschuhen. Das soll im Idealfall eine zentraleuropäisch orientierte Spitzenforschungseinrichtung mit diversen hochrangigen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Informations- und Kommunikationstechnologie sowie für Management werden – also im Grund eine Art kleines Seibersdorf mit Schwerpunkten im Bereich der Informations- und Planungstechnologien. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 24.1. 2007)