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Foto: REUTERS/Marko Djurica
Graz - Blinden Menschen Orientierungssehvermögen zu geben - das soll an der Medizinischen Universität Graz bald möglich werden. An der Hochschule werden Patienten im "Artificial Vision Center" (AVC) mit einem einzigartigem Konzept behandelt: Zuerst werden mit einer Chipimplantation die "technischen" Voraussetzungen zum Sehen geschaffen. Dann wird den Betroffenen in einem Trainingsprogramm mit neu entwickelten Tests der Umgang mit dem Sehen vermittelt.

Zur Zeit sei es zwar nicht möglich, mit Hilfe eines Implantats eine Sehleistung zu erzeugen, die das Lesen oder das Erkennen von Gesichtern ermöglicht: "Aber bereits die reduzierte Form des Sehens stellt einen großen Fortschritt für einen blinden Menschen dar", erklärte Michaela Velikay-Parel, Leiterin des Forschungszentrums AVC an der Med Uni Graz am Donnerstag in Graz. "Mit dem Erkennen von Licht und Umrissen gewinnt die Unabhängigkeit enorm. Für unsere Patienten bedeutet dieses Sehvermögen eine entscheidende Verbesserung."

Zusammenarbeit

In der Augenheilkunde gab es bisher keine geeigneten Testmethoden, um die Verbesserung dieses neuen Sehens und deren praktische Bedeutung überprüfen zu können, berichteten die Verantwortlichen. Die neuen Tests wurden in Zusammenarbeit mit dem Industriepartner IMI (Intelligent Medical Implant), lokalen Blindenverbänden und Behinderteninstitutionen wie z. B. dem Odilieninstitut erstellt und für die Praxis überprüft.

Weltweite Forschung

Weltweit arbeiten auf diesem Standard zwei bis drei Forschungsgruppen an Implantatsystemen, hieß es. "Mit der Erprobung der ersten Implantate befindet sich die Med Uni Graz im Spitzenfeld der Forschung auf diesem Gebiet. Gelingt das Forschungsvorhaben ist das ein großer Durchbruch in der Augenheilkunde", sagte Andreas Wedrich, Vorstand der Grazer Universitäts-Augenklinik. "Blinden dazu zu verhelfen, dass sie wenigstens Licht-Schatten und Konturen erkennen können, ist eine wichtige Aufgabe in diesem Projekt", meinte Rektor Gerhard Franz Walter.

Das 2004 eröffnete AVC ist im Zentrum für Medizinische Grundlagenforschung (ZMF) der Hochschule untergebracht. Dort sind auf rund 4.200 Quadratmeter Fläche neben Schreib- und Seminarräumen 89 Labors eingerichtet. Derzeit nützen 55 Forschungsgruppen die Einrichtung um ZMF, so Leiter Andreas Tiran.

--> Chipimplantation und Rehabilitation

Die neuartige Behandlung der Med Uni Graz zur Verbesserung der Sehfähigkeit startet mit einer Chipimplantation an der Augenklinik der Uni. Zusätzlich erhält der Patient u. a. eine Brille mit Kamerachip. Nach der Operation erfolgt die Rehabilitation mit mehrstufigem Trainingsprogramm und speziell entwickelten Sehtests im "Artificial Vision Center" (AVC). Ein Labyrinth soll schließlich die Orientierungsfähigkeit der Patienten messen.

Stimulation

Das Implantat wird in die Mitte des Auges eingepflanzt, wo mit Hilfe elektrischer Reize die Netzhaut stimuliert wird. Damit werden Lichtwahrnehmungen hervorgerufen. Der Betroffene bekommt zusätzlich eine Brille, auf der ein Kamerachip montiert ist, über den die Bildinformation mit einem Kabel zu einem "Pocket-Prozessor" - der an der Kleidung befestigt ist - weitergeleitet wird. Dieser wandelt die Information um und anschließend werden die Daten mit einem so genannten Retina-Encoder zu Stimulationsbefehlen verarbeitet und von dort an die Brille zurückgeleitet. Hier werden die Informationen über Infrarot an das Auge gesendet.

Das Implantat wandelt die Daten in elektrische Impulse um und gibt sie an den Stimulationsteil - der an der Netzhaut befestigt wurde - weiter. So sind die "technischen Voraussetzungen" geschaffen, Lichtsignale zu erkennen.

Anpassung und Rehabilitation

Nach dem Einsetzen des Implantats müssen nach der Heilungsphase die elektrischen Reize individuell an jeden einzelnen angepasst werden. Danach erfolgt eine mehrere Monate dauernde Rehabilitation mit einem neuen Trainingsprogramm und speziellen Sehtests im AVC. "Mit dem Einsetzen eines Netzhautimplantats beginnt für die Patienten eine neue Herausforderung: Da die elektrische Reizung der Netzhaut völlig neu ist, muss das Gehirn erst lernen, diese Reize zu einem sinnvollen Bild zusammenzufügen", erklärte Velikay-Parel.

Zuerst werde das Erkennen von Lichtpunkten und einfachen Mustern trainiert und den Patienten auf diese Weise ein Seheindruck im zweidimensionalen Raum gegeben, so die Verantwortlichen. Zur Überprüfung der Sehleistung werden dann an eine große Wand Punkte oder Muster projiziert. Die weiteren Übungsschritte dienen der Erfahrung des dreidimensionalen Raums: Die Betroffenen bringen ihre ertastete Erfahrung mit den neuen Seheindrücken in Zusammenhang.

Ziel sei es, Patienten die Orientierung in fremder Umgebung zu erleichtern. Um diese Fähigkeit zu messen, wurde im AVC ein Labyrinth-Test entwickelt: Je schneller der Betroffene die verwinkelten Gänge durchquert und leichte Hindernisse bewältigt und je weniger Barrieren dabei berührt werden, umso größer sei diese Fähigkeit. (APA)