Gerhard Bronner
Spiegel vorm Gesicht. Erinnerungen -
€ 19,90/272 Seiten. Deutsche Verlags-Anstalt München

Foto: Buchcover
Im Oktober 2002, kurz vor Gerhard Bronners 80. Geburtstag, überraschte das Magazin profil mit einer Coverstory über den Baumeister des österreichischen Nachkriegskabaretts. Dort schilderte Bronner erstmals, wie er im Mai 1938, als nur 15-jähriger und mittelloser Sohn einer von den Nazis verfolgten jüdischen Familie aus dem Wiener Arbeiterbezirk Favoriten, auf eigene Faust quer durch Osteuropa ans Schwarze Meer und von dort nach Palästina flüchtete.

Es war lebensgefährlich. Beinahe hätte man den über die grüne Grenze in die Tschechoslowakei Gelangten wieder in seine bereits an Nazideutschland angeschlossene Heimat zurückgeschickt. Im bulgarischen Donauhafen Rustschuk, zu dem Bronner und ein 17-jähriger Fluchtgefährte als Kohlenschaufler auf einem Raddampfer kamen, galt es, den Strom zu durchschwimmen. Während Bronner das rumänische Ufer erreichte, wurde sein Freund von einem Strudel erfasst und ertrank.

Der Bericht vom Überleben in Rustschuk, die Vorgeschichte und die folgende Zeit in Palästina machen die erste Hälfte des Erinnerungsbuches aus, das Gerhard Bronner nun vorlegt. Die Beschreibung der Jahrhundertkatastrophe, die damals über so viele Familien hereingebrochen ist, gelingt ihm mit großer Eindringlichkeit, die dem Leser im zweiten, Bronners wechselvoller Karriere als Kabarettist und Showbiz-Unternehmer gewidmeten Teil manchmal abgeht.

Im Inflationsjahr 1922 als Sohn eines Tapezierers und einer Näherin geboren, wuchs Bronner in einer von tschechischen Zuwanderern, den "Ziegelböhmen", geprägten proletarischen Umgebung auf. Den Weg aus der materiellen Not wies für die Bronners, auch für seine viel älteren Brüder Emil und Oskar, die Sozialdemokratie. Ein Freund brachte dem Fünfjährigen zum Entsetzen der Mutter den Spruch bei: "Ich bin kein Jud, ich bin kein Christ, ich bin ein kleiner Sozialist." Der Freund hieß Bruno Kreisky.

Bei den "Roten Falken" zeigte sich die hohe Musikalität Bronners. Sein Bruder Oskar setzte durch, dass ihm Klavierstunden ermöglicht wurden. Emil, der älteste Bruder, starb 1934 als Schutzbündler an den Folgen einer Schussverletzung. 1938 wurden der Vater und Bruder Oskar nach Dachau verschleppt, Gerhard wagte die Flucht - alle anderen Familienmitglieder kamen im Holocaust ums Leben.
In Palästina holte Bronner lesend die ihm bis dahin verwehrte Bildung nach, wurde Unterhalter für die britischen Truppen und spielte sich in professionell besetzte Orchester hoch. Er heiratete eine Jugendfreundin aus Wien, 1943 wurde sein erster Sohn Oscar (der spätere Gründer von trend, profil und STANDARD) geboren.
1948 ins Wien des "Dritten Manns" zurückgekehrt - eigentlich nur auf der Durchreise nach London, wo ein Job bei der BBC lockte - stürzte sich Bronner ins Unterhaltungsgeschäft. Er spielte in Pianobars, fand seine Kabarett-Mitstreiter, gründete und betrieb mehrere Kleinkunst-Etablissements, produzierte Schallplattenhits und bearbeitete Musicals. Auch bei den Anfängen des Fernsehens in Deutschland und Österreich war er mit dabei. In einem Land, in dem die meisten am liebsten auf der einmal eingeschlagenen Lebensbahn bleiben und existenziellen Entscheidungen aus dem Weg gehen, startete Bronner immer wieder neue und riskante Projekte. Seine bissigen Lieder und Sketches zum österreichischen Sumpertum und zur Tagespolitik wirkten damals, als man die Nazizeit möglichst rasch verdrängen wollte, höchst provokant. Wie er den Mut dazu fand, erörtert er nicht - sein Lebensweg liefert die Erklärung.

Das hektische Leben hatte seinen Preis. Zwei Ehen scheiterten, mit vielen Freunden, darunter der große Helmut Qualtinger, hat er sich zerkracht. Auch sein Publikum polarisierte er immer wieder. Etwa 1965, als er im TV den von den Fans lang erwarteten Film "Around the Beatles" kommentierte - und verriss. Bronner wäre nicht Bronner, stünde er nicht zu seinem Urteil. Er sei immer gegen Personenkult eingetreten, "gute Schlager wie ,Yesterday'" seien noch nicht geschrieben gewesen, mit "Lucy in the Sky with Diamonds" hätten die Beatles "in ihrer Generation das Rauschgift salonfähig gemacht". ("Yesterday" kam 1965, "Lucy" erst 1967 heraus.)

Ärger als der nachhaltige Streit mit den Jungen traf ihn Jahre später ein Krieg mit dem Finanzamt (das hohe Steuernachzahlungen für Tantiemen einforderte, die er seiner zweiten, geschiedenen Frau überlassen hatte). Im Waldheim-Wahljahr 1986 übersiedelte Bronner nach Florida, wo er auch jetzt noch das halbe Jahr lebt.

Eingerostet ist er, wie auch dieses Buch zeigt, aber nicht. Österreichweit bewies er dies zuletzt als Conférencier der vom ORF übertragenen Wiener-Festwochen-Eröffnung 2002, die vertriebenen Komponisten gewidmet war. Da stand er wieder: der hochmusikalische, weltläufige Favoritner, der seinen Landsleuten mit ironischem Lächeln und sanfter Stimme bittere Wahrheiten pointiert hineinsagte und ihnen einen Spiegel vors Gesicht hielt. (Erhard Stackl/ DER STANDARD, Printausgabe vom 6./7.3.2004)